Festschrift zum 25. Jubiläum der DPG Hamburg 1972-1997

DPG-Geschichte-Jochimsen
Deutsch-Polnische Gesellschaft Hamburg
– eine ganz persönliche Rückschau

Autor: Hanno Jochimsen

1. Dänen und Polen – 1972
2. Überparteilich 1972/3
3. Sprachlosigkeit 1973
4. Wo anknüpfen? 1973/4
5. Erster Besuch in Warschau 1974
6. Hilfreicher Gesprächspartner 1974
7. Zusammenarbeit 1974/5
8. „Die Wacht am Rhein“ 1974/8
9. Überraschendes Angebot 1974
10. Große Verhandlungsrunde 1974
11. Das polnische Konzept 1975
12. Blitzreise nach Danzig 1975
13. Aufgaben für die Mitglieder 1975
14. Drei Gespräche 1975
15. Mediensperre 1975
16. Besuch beim alten Partner 1976
17. Hamburg keine Partnerin 1976
18. Gespräche in Danzig 1976/7
19. Schwieriges Verhandeln 1977
20. Erlebnisse in Danzig 1977
21. Kein Ansatzpunkt danach 1977/9
22. Suche nach Kontakten 1978/9
23. Unerwartetes Gespräch 1979
24. Ein Jugendwerk 1979/80
25. Besuch aus Polen 1979/80
26. Forum in Darmstadt 1980
27. „Polnischer Herbst ’81“ 1981
28. Kriegsrecht 1981/3
29. Erneut in Warschau 1983
30. Langsamer Wandel 1984
31. Forum in Krakau 1985
32. „Dialog“ 1985/6
33. Einzelgänger 1985/9
34. Durchbruch 1988
35. Gedenktag 1989
36. Besuch bei Walesa 1989
37. Die Wende 1989
38. Sitzung in Stettin 1991
39. Lohnte sich die Arbeit?

1. Dänen und Polen
Im Januar 1971 – wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags vom Dezember 1970 – standen ganz unangemeldet Gerd Hoffmann und Friedrich Riethmüller in meinem Zimmer im Rathaus und erklärten,  soeben hätte der damalige Zweite Bürgermeister und Schulsenator Peter Schulz die Schirmherrschaft über die bald zu veranstaltenden „Polnischen Tage“ übernommen. Es sei nun meine Pflicht als stellvertretender Pressesprecher,  ihnen bei der Pressearbeit zu helfen.
Es war der Anfang einer wechselvollen gemeinschaftlichen Friedensarbeit. Irgendwie entstand ein Vertrauen zwischen uns. Gerade unsere so unterschiedlichen persönlichen Hintergründe ließen die Zusammenarbeit fruchtbar werden. Als Grenzlandbewohner im Landesteil Schleswig – und Angehöriger des ersten „weißen“ Jahrgangs 1930 – fühlte ich mich früh in die deutsch-dänischen Grenzauseinandersetzungen der ersten Nachkriegsjahre einbezogen. Ihnen fehlten – Gott sei Dank – die Schärfe der deutsch-polnischen Auseinandersetzungen vor 1939. Schließlich genügte es, beim Aufeinanderprallen von zwei Demonstrationszügen in Flensburg im September 1948 eine Schaufensterscheibe einzuschlagen, um die Polizei zu rufen, die den ganzen Spuk in wenigen Sekunden hinwegzauberte.
Das Krachen der Scheibe, das mich als Signal der Gewalttätigkeit erschrecken ließ, muß auch in Kopenhagen gehört worden sein. Knapp zwei Jahre später wurde ich von Mellemfolkeligt Samvirke, Kopenhagen, zu einem deutsch-dänischen Jugendlager in Kiel eingeladen. Es war der „Zwischenvölkischen Zusammenarbeit“ gelungen, viele „Streithähne“ beider Nationalitäten von jeweils beiden Seiten der Grenze zu gemeinsamer Arbeit und
gemeinsamen Diskussionen für einen ganzen Monat zu versammeln. Hier lernte ich, Frieden über die Grenze zu schließen – ein Erlebnis, das ich schließlich in meiner Dissertation aufarbeitete – und das mich noch immer beschäftigt.
Geschichtlich waren die Auseinandersetzungen in Schleswig um die Jahrhundertwende nur aus der preußischen Politik gegenüber den Polen in Schlesien und Posen zu verstehen. Schließlich waren Dänen und Polen die beiden Minderheiten, die den Gebietsstand Preußensangriffen und gegen die es sich wehrte.
Das Begehren der beiden, die in mein Zimmer getreten waren, traf bei mir also auf einiges historisches Wissen über deutsch-polnische Zusammenhänge und auf den Wunsch, nun nicht nur gegenüber dem Nachbarn im Norden, sondern auch gegenüber dem im Osten die Grenzen abzubauen. Jahrelange Verständigungsarbeit zwischen den Nationen in den USA und an Bord von Flüchtlingsschiffen auf dem Atlantik hatten einen Erfahrungsschatz geschaffen, auf dem ich ebenfalls vertrauen konnte. Schließlich wußte ich, daß Nationen nicht weggezaubert werden können, wie die vor uns lebende Generation wohl gemeint haben muß und dabei Völkermord als
selbstverständlich ansah – daß die Polen also immer Nachbarn der Deutschen und die Deutschen selber nur eine begrenzte – wenn auch unbestimmte – Zeit geteilt sein würden.
Die Polnischen Tage in Hamburg 1971 hatten Appetit auf das Land gemacht. Meine damalige Frau und ich beschlossen, so bald wie möglich nach Polen zu reisen. Das Land hatte ich bereits zweimal aus dienstlichen Gründen besucht. Im Jahre 1962 die Posener Messe und 1963 die Hafenstadt Danzig. Es waren aber immer nur kurze Reisen gewesen. Nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages – aber vor seiner Ratifizierung – waren für Deutsche Gruppenreisen möglich. Für die Polen war es eine Zeit der vorsichtigen Annäherung: Gruppen ja, Einzelne nein. So schlossen wir uns „Dr. Tigges“ an und fuhren vierundzwanzig Tage mit dem Bus durch das ganze Land. Es wurde eine Fahrt ohne jeden Stress. Später ist mir nie mehr möglich gewesen, so ohne jeden Termindruck und ohne Verpflichtungen durch das Land zu fahren. Wir genossen die Küche – damals waren Lebensmittel anscheinend noch nicht knapp. Wir bewunderten die kulturellen Schätze, die die Kriegswirren überlebt hatten. Wir waren von dem Ausmaß an künstlerischer Freiheit beeindruckt. Wenn man zuvor intensiv die Sowjet-Union bereist hatte, war man verblüfft über den polnischen „sozialistischen Realismus“, der sich – zumindest – vor unseren Augen verbarg. Wir erlebten ein großes Ausmaß an künstlerischer und individueller Freiheit. Hinzukam eine Offenheit und Herzlichkeit bei den Menschen, die uns begneten, für die ein Beispiel stehen mag: Die Hamburger Veranstaltung im Jahre 1971 hatte für die polnische Agentur INTERPRESS, eine staatliche oder
halbstaatliche Organisation, deren damaliger Chefredakteur Henryk Tycner betreut. Wir waren übereingekommen, daß, wenn ich einmal nach Polen käme, ich ihm doch Nachricht geben solle. Vor Abfahrt nach Polen schrieb ich also eine Postkarte, daß wir an einem bestimmten Tage Warschau besuchen würden. Da ich nichts gehört hatte, meinte ich die Sache auf sich beruhen lassen zu sollen. Aber es kam anders. Als wir nach einer Besichtigung des Schlosses Wilanów in der „Schmiede“ einem bekannten Restaurant saßen, erschien Henryk Tycner mit Irena Poszajska, ebenfalls von INTERPRESS, voller Vorwürfe, daß man uns nicht vorher gefunden hätte und dabei hätte man doch alle Grenzstationen telefonisch abgefragt. Nur der Tatsache, daß das Sammelvisum für alle vierundzwanzig Businsassen aus einem rätselhaften Grund in meinem Paß eingetragen war, hatten wir es also den mittäglichen Besuch zu verdanken. Wir haben anschließend Stunden und Stunden im Gespräch miteinander verbracht. Es endete schließlich um vier Uhr morgens in der Bar des Hotel Europejski. So intensive Gespräche waren wir aus Deutschland nicht mehr gewöhnt. – Heute begegne ich ab und zu dem Sohn, Janusz Tycner. Die Erinnerung an diese Begegnung ist immer noch lebendig und gegenwärtig.
Verständigung mit Polen suchen, wollte ich nicht nur, weil ich dieses Land, seine Kultur und seine Menschen schätzen gelernt hatte, sondern auch, um dem eigenen Land zu helfen. Ohne den Frieden mit Polen war kein dauerhafter Frieden für die Deutschen zu erwarten und eine Wiederholung der Ereignisse der letzten zwei Jahrhunderte – von den Teilungen Polens bis zum Vernichtungsangriff 1939 – nicht auszuschließen. Sodann konnte man beim Aufbau der Beziehungen zu Polen langfristig und in historischer Sicht etwas sinnvolles gegen die Teilung des eigenen Landes tun. Das hat zu jener Zeit kaum jemand gesehen – auch nicht der Erste Bürgermeister Peter Schulz – als er vom Vorstand der Gesellschaft Oswald Beck, den leider inzwischen verstorbenen früheren CDU-Bürgerschaftsabgeordneten, Friedrich Riethmüller sowie Gerd Hoffmann – beide SPD – und mich – damals F.D.P. – im Rathausehrenhof traf und fragte: „Was ist dies für eine seltsame Koalition?“ Und als ich bei etwas späterer Gelegenheit vom gemeinsamen Engagement für den Frieden mit Polen sprach, antwortete er etwas leise: „Es sind doch alles Bolschewisten – was wollen Sie da?“

2. Überparteilich
Da aber hatten wir schon unsere ersten Schritte gemacht und sahen eine Perspektive. Zunächst war es darum gegangen, den moralisch-ethischen Anspruch unserer Gesellschaft zu formulieren. „Wir rufen auf zum Frieden mit Polen!“ entstand in der Wohnung von Annaliese Wulf, die zusammen mit Gerd Hoffmann Motor des Deutsch-Polnischen Arbeitskreises – dem Vorgänger unserer Gesellschaft – gewesen war (abgedruckt im Anhang). Dort haben wir um die richtigen Worte hart gerungen, zugleich aber auch gemerkt, wie weitgehend wir – trotz ganz unterschiedlicher politischer Hintergründe – übereinstimmten. Leider verließ Annaliese Wulf, die als Reiseschriftstellerin für den Frieden zwischen Deutschen und Polen Feuer gefangen hatte, sehr bald Hamburg und trat bei der Wahl des ersten regulären Vorstandes auch nicht mehr an. Diese aber endete mit einer Überraschung und verbreiterte die Basis der Gesellschaft ganz erheblich. Im Verlaufe der Versammlung kritisierte Oswald Beck die für ihn einseitige politische Zusammensetzung des Gründungsvorstandes. Der Verweis auf

mich, der ich inzwischen mitgearbeitet hätte, vermochte ihn ebenfalls nicht zu beruhigen, weil ich doch zum Koalitionspartner in Bonn und Hamburg zählte. Die Versammlung begriff die Chance, eine wichtige politische Gruppe zu integrieren und wählte ihn in den Vorstand. Wir haben harmonisch über die Parteigrenzen zusammengearbeitet, wenn wir auch niemals Beschlüsse gefaßt haben, die die Schmerzgrenze bei einem von uns angetastet hätte.
Vorgeführt, solche Beschlüsse zu fassen, wurden wir häufig genug, sowohl aus DKP beeinflußten deutschen als auch aus polnischen Ecken. Das hat manchmal Ungeduld unter den Mitgliedern geschaffen. Der gegenüber galt es aber standzuhalten, denn unsere breite Basis war und ist das wichtigste Gut für das Handeln der Gesellschaft und bewahrte sie vor innerpolitischen Angriffen. Zudem war die Zusammenarbeit mit dem aus Bielitz (Bielsko-Biaa)
stammenden Oswald Beck, der sich über polnische Familienangehörige empört hatte, deshalb vertrieben wurde, aber nun den persönlichen Frieden suchte, außergewöhnlich fruchtbar. Er kannte die polnische Psyche. Von ihm haben wir viel gelernt.

3. Sprachlosigkeit
Kurze Zeit nach meiner Wahl zum Vorsitzenden erreichte mich die Bitte eines mir bis dahin unbekannten Jan Dolny, ihm bei der Ausrichtung einer deutsch-polnischen Veranstaltung in der katholischen Kirche in Hamburg-Hamm zu helfen. Ich bot ihm einen Vortrag mit Dias an, die ich während einer der ersten Polenreisen mit „Dr.Tigges“ im Juni 1971 aufgenommen hatte. Es war eine der ersten in das Nachbarland überhaupt gewesen, und Dias über
Polen hatten Seltenheitswert. Was ich jedoch in Hamm antraf, hat mich tief erschüttert: Der erst 1957 und nach seiner polnischen Schulausbildung aus Schlesien ausgesiedelte Schiffbauer Jan hatte es aus eigener Berufung übernommen, die neuen Generationen von ausgesiedelten Jugendlichen zu betreuen, die im Aufnahmelager Finkenwerder lebten. Nun waren sie für einen Nachmittag nach Hamm gekommen und hatten in einem Kellerraum der Kirche eine Ausstellung von Postkarten arrangiert. Für jede der damaligen Wojwodschaften war eine kleine Kabine geschaffen worden, in der die nur polnisch sprechenden Deutschen jeweils „ihre“ Wojwodschaft mit Postkarten dargestellt hatten. Auf der anderen Seite des Kellergangs machten sich der polnischen Minderheit angehörende – und unter sich nur deutsch sprechende – Jugendliche für einen Volkstanzauftritt mit ihrer Billstedter Gruppe „Krakowiak“ fertig. Über den Kellergang fanden keine Gespräche statt. Die Atmosphäre war voller Haß. Man hörte Warnungen vor einander – in deutsch vor den Deutschen, in polnisch vor den Polen. Eine seltsame Welt, die jedoch die Beziehungen zu Jan Dolny auf der einen Seite – der bald ein Mitstreiter in der Gesellschaft wurde – und zur polnischen Minderheit andererseits wachsen ließ. Das Erlebnis zeigte, welche Aufgaben uns in Hamburg erwarteten.

4. Wo anknüpfen?
Was tut man aber nun mit einer Gesellschaft, die Beziehungen zu Polen will, wenn es keinen Ansatz gibt, im – durch den Kordon der DDR abgeschirmten – Nachbarland überhaupt gehört zu werden? Nach den 25 Jahren des Schweigens von 1945 bis 1970 zwischen beiden Völkern, der „Hallstein-Doktrin“, dem gegenseitigen Mißtrauen und den Unterschieden in den Gesellschaftsordnungen, gab es keine eingefahrenen Wege, auf denen sich so einfach Kontakte knüpfen ließen. Der neue Vorstand – allen voran sein unermüdlicher Geschäftsführer Gerd Hoffmann – machte sich daran, zu jeder Gruppe aus Polen, die Hamburg besuchte, Kontakt aufzunehmen und sie zu einem Gespräch bei bescheidenem
Kaffee und trockenem Kuchen einzuladen und dabei die Gesellschaft vorzustellen. Dieses Vorgehen trug nach einiger Zeit Früchte. Irgendwie hatte es sich wohl in Polen herumgesprochen, daß es da in Hamburg eine bemerkenswerte Gruppe gab.
Anknüpfen konnten wir dabei außerdem an die Kontakte, die Otto Wagner als Stellvertretender Leiter des Studienseminars und späteren Instituts für Lehrerfortbildung geschaffen hatte. Mit der polnischen Lehrergewerkschaft war der jährliche Austausch von Reisegruppen schon gegen 1964 vereinbart worden. Wir gaben für die polnische Reisegruppe einen Empfang. Den ersten, aus dem sich eine jahrelange Tradition entwickelte. Lehrer sind schließlich für das Verhältnis zwischen Völkern ganz besondere Multiplikatoren.
Geholfen hat uns ebenfalls die Katholische Akademie Hamburg mit ihrem Direktor Günter Gorschenek, der uns oft einlud, wenn er polnische Gäste hatte. Die Akademie war – wie wir bald herausfanden – der Anlaufpunkt für den nach oder über Hamburg reisenden polnischen Klerus. Unter den Gästen waren ebenfalls häufig Professoren der Katholischen Universität Lublin, unter ihnen Professor Nossol, der heutige Erzbischof von Oppeln. Voller Abenteuer waren die Erlebnisse, die sich aus der Bitte einer Hamburger Galerie ergaben, in die Ausstellung der polnischen Künstlerin Alicja Wahl einzuführen. Nach einem langen Gespräch mit der Künstlerin überraschte die Vernisage. Sie war zu einem Treffen der von Kopenhagen bis nach Paris verstreuten jüdischen Exilanten geworden, die Polen 1968 /69 verlassen mußten und nun Wiedersehen mit ihrer Freundin feierten.
Ein anderer Ansatzpunkt, die Aufgaben der Gesellschaft zu erfüllen, war, die Hamburger mit dem Nachbarland, seinen Menschen, seinen Problemen, seiner Geschichte und ebenfalls den erschreckenden Hinterlassenschaften des Nazi-Terrors vertraut zu machen.
Dazu wollten wir Reisen organisieren. Alle waren wir begeistert von Fahrten nach Polen zurückgekommen, fasziniert von der Feinfühligkeit, mit der man uns begegnet war, bereichert von der Kreativität in allen künstlerischen Bereichen und etwas benommen von der trotz widriger Umstände spürbaren Lebensfreude und Gastfreundschaft dieses Volkes.
Das Projekt einer gemeinsamen Busreise nach Polen wurde sofort begonnen. Im politischen Bereich wurde diskutiert, daß es nicht nur Reisen des damaligen Kuratoriums für politische Bildung nach Israel, sondern auch solche nach Polen geben sollte. Schließlich würden sich die dortigen Verhältnisse im gleichen Maße auf die innerhamburgische Politik auswirken wie die in Israel. Das Kuratorium beschloß deshalb, sich mit einem ansehnlichen Kontingent von Teilnehmern und Teilnehmerinnen an der Fahrt zu beteiligen – schon um Erfahrungen für künftige Reisen zu sammeln.
Da das Kuratorium selbstverständlich alle politischen Gruppierungen in der Stadt zu berücksichtigen hatte, waren diese auch im Autobus vertreten, mit dem wir – die Südroute – über Breslau und Krakau nach Warschau und über Posen zurück fuhren. Auf welch Widerstände ich als Reiseleiter stieß, zeigte sich beim ersten politischen Treffen in Czstochowa /Tschenstochau:
Wer die Volksrepublik Polen etwas kannte, wußte, daß hier die damals einzige Opposition saß, mit der man sprechen konnte, wenn man denn in die Klausur des Klosters eingelassen wurde. Vorbereiten ließ sich ein solcher Besuch nicht, denn die Telefone wurden selbstverständlich abgehört. In das Programm konnte ein solcher Besuch auch nicht aufgenommen werden, weil man nicht wußte, ob das Kloster einen aufnehmen würde, und weil ein
solcher Programmeintrag die Gesprächspartner gefährdet hätte.
Bemerkenswert war, wie leicht wir vor dem Klausurbesuch den polnischen Begleiter unter einem fadenscheinigen Vorwurf los wurden, und wie schwer es war, einige der eigenen Teilnehmer zu beruhigen. Aus grundsätzlichen Gründen lehnten sie jede Art von Weihrauch und Berührung mit der katholischen Kirche ab und empfanden es als eine Zumutung, mit dem konfessionsneutralen Kuratorium in ein Kloster verschleppt zu werden. Wer jedoch
teilnahm, erfuhr etwas über die Akzeptanz – oder besser die Nichtakzeptanz – des Regimes durch die Bevölkerung, denn das Kloster verfügte über eine effiziente soziologische Forschungsabteilung. Bei ihren Befragungen konnte sie auf alle Kirchengemeinden des Landes zurückgreifen. Mehr und mehr bestürzt von dem, was sie während der Fahrt erlebten, war das Ehepaar Lisi und Adolf Vogel. Sie hatte schon seit einiger Zeit vergeblich versucht, für die Hamburger Frauenverbände eine Fahrt nach Polen zu organisieren, was ihr aber stets von der Kölner Botschaft abgelehnt wurde. Er, der Historiker, erfuhr, wie sehr die gemeinsame Geschichte, das Deutschlandbild der Polen prägte, und wie wenig über die polnische Geschichte von seiner Generation gelehrt worden war. Beide haben sich danach der Arbeit der Gesellschaft gewidmet – sie immer einsatzbereit im Vorstand und er mit Vortragszyklen zur polnischdeutschen Geschichte.

5. Erster Besuch in Warschau
In Warschau wurde die Gruppe im Außenministerium empfangen, wo der zuständigen Abteilungsleiter einen Vortrag über die polnische Deutschlandpolitik hielt. Verblüfft war ich, als er von drei Objekten dieser Politik sprach, nämlich der DDR, der  Bundesrepublik und „Deutschland als Ganzem“, ein Begriff, der im Osten eigentlich verpönt war. Irgendwie muß der Diplomat seiner Zeit zu weit voraus gewesen sein, denn kurze Zeit später erfuhren wir, daß er als Botschafter nach Tunis gegangen sei. Besuche im polnischen Außenministerium sollten in den nächsten zehn Jahren an der Tagesordnung bleiben. Schließlich wurde dort bestimmt, ob und zu welchen Zwecken wir einreisen durften. Ein Visa zu erhalten, war keine Selbstverständlichkeit. Regelmäßig haben wir aber auch immer die Botschaft der Bundesrepublik im Stadtteil Praga besucht – schon um zu informieren und keinen Verdacht im eigenen Land aufkommen zu lassen. Während dieser ersten Reise trafen wir auf den jungen Legationsrat Frank Elbe, damals II. Sekretär an der Botschaft, der es heute bis zu den höchsten Positionen im Auswärtigen Amt geschafft hat. Im kleinen Kreis sagte er damals: Sie werden es schwer haben, Gesprächspartner in diesem Land zu finden. Ein Satz, der mir sehr Erinnerung geblieben ist, weil er nicht nur unsere Situation, sondern in jener krisenhaften Zeit – Helsinki mit dem Gierek-Schmidt-Abkommen war noch fern – ebenfalls die Botschaft betraf. In den nächsten Jahren haben wir immer wieder dafür gesorgt – sehr zum Leidwesen unserer oft frustrierten polnischen Partner -, daß Vertreter der Botschaft an unseren Gesprächen teilnahmen.

6. Hilfreicher Gesprächspartner
Im April 1974 tauchte mit Jozef Dubiel, dem damaligen Generalsekretär von INTERPRESS in Warschau, ein sehr kompetenter Gesprächspartner auf. Er war nach Hamburg als Gast von Internationes e.V., Bonn, gekommen, einem Verein im Einflußbereich des Auswärtigen Amtes. Und Interpress erfüllte teilweise die gleichen Aufgaben auf polnischer Seite. Dubiel kam wie viele von der Bundesregierung eingeladene journalistische Gäste damals zu mir in die Staatliche Pressestelle ins Rathaus. Er wußte aber genau, daß er ebenfalls den Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Hamburg vor sich hatte.
Wir sprachen über das Projekt „Polnische Tage in Hamburg“, das kurz zuvor im Namen einer anderen Deutsch-Polnischen Gesellschaft von einer Düsseldorfer Werbeagentur an die Senatskanzlei herangetragen worden war.
Die Senatskanzlei hatte aber uns zum Gespräch hinzugezogen und darauf bestanden, es nur mit der heimischen Gesellschaft durchführen zu wollen. Nun war es irgendwie liegen geblieben.
Nach dem Besuch begleitete ich Dubiel – um besonders höflich zu sein – zu seinem nächsten Termin im Spiegelhaus. Mitten auf einer Straßenkreuzung auf „grün“ wartend und im großen Lärm fragte er mich, ob ich denn die „Polnischen Tage in Hamburg“ wolle. Was ich bejahte, worauf er mir andeutete, daß ich aus Polen hören würde. Unmittelbar kamen mir die äußeren Umstände dieses Frage- und Antwortspiels seltsam vor. Heute scheint es mir so, als ob es irgendwie „abhörsicher“ sein sollte. In der Tat hat mich unser Verfassungsschutz in den nächsten Jahren immer wieder vor dem „Geheimdienstler“ Dubiel gewarnt. Eingedenk der Aussage, wir würden es schwer haben, überhaupt Gesprächspartner in der Volksrepublik Polen zu finden, hielt ich – und mit mir der Vorstand – den Arbeitskontakt mit Jozef Dubiel über längere Zeit aufrecht.
Das war ein Balancieren in mehrfacher Hinsicht. Dem Vorstand – und erst recht den Mitgliedern – konnte ich nichts von den Warnungen des Verfassungsschutzes sagen, denn der hatte sich natürlich Diskretion erbeten. Auf der anderen Seite war dies der einzige reale Gesprächspartner, die man sich damals bekanntlich in Polen nicht aussuchen konnte. In meiner Entscheidung fühlte ich mich bestärkt, weil ich bei Jozef Dubiel spürte, daß er aus ganz persönlichen Gründen zur Verständigung zwischen Polen und Deutschen beitragen wollte und wir uns in unseren Motiven trafen. Später erfuhr ich dann, daß er unter der ersten polnischen Regierung nach dem Krieg Staatssekretär für die West- und Nordgebiete gewesen war und ganz offensichtlich eine Rolle bei der Vertreibung gespielt hatte. Mir schien, als wollte er wohl irgendetwas wiedergutmachen. Dieses Gefühl vermittelte sich mir jedenfalls. Nach außen hin ließ er sich allerdings nichts anmerken. Er beförderte unsere gemeinsamen Projekte auf eine bemerkenswerte Art und Weise gegen viele innerpolnische Widerstände. Andererseits hat er uns nie geheimdienstlich angesprochen – ja, manchmal ahnte ich, daß er uns vor solchen Angriffen anderer beschützte. INTERPRESS blieb durch viele Jahre Ansprechpartnerin für unsere Gesellschaft. Dieses Verhältnis blieb immer zwiespältig, schon weil wir die Verquickungen dieses Instituts und seiner Personen mit Staat und Partei nicht überblicken konnten. Aber selbst wenn man hiervon absah, kann ein dauerhaftes Gespräch zwischen ehrenamtlich engagierten Bürgern einerseits und Beamten andererseits nicht Bestand haben. Aber so hatten wir wenigstens einen Ansprechpartner in Warschau – wenn er auch durchaus nicht unproblematisch war, was wir den Mitgliedern – begreiflicherweise – jedoch nicht offenbaren konnten.

7. Zusammenarbeit
Unser Schicksal, Schwierigkeiten beim Aufbau von Beziehungen nach Polen zu haben, teilten wir mit den in Norddeutschland existierenden Gesellschaften gleichen Namens. Es gab außer uns deutschpolnische Gesellschaften in Kiel, Lübeck und Bad Segeberg. Einige ihrer Vorstandsmitglieder hatten uns auf unserer ersten Reise begleitet, so daß eine Atmosphäre des Vertrauens entstanden war. Sehr bald nach der Rückkehr hatten wir beschlossen, uns regelmäßig zu treffen, um uns gegenseitig über unsere Kontakte nach Polen zu unterrichten und um eventuelle polnische Gäste von Gesellschaft zu Gesellschaft weiterzureichen – also so etwas wie einen Ersatz für fehlende Verbindungen zu Polen. Es entstand der Segeberger Arbeitskreis – benannt nach seinem ständigen Tagungsort – die nachherige Arbeitsgemeinschaft norddeutscher
Deutsch-Polnischer Gesellschaften, als Gesellschaften unter anderem in Bremen, Göttingen und Hannover gegründet worden waren. Die vierteljährlichen Sitzungen taten über die Jahre der innerstädtischen Zusammenarbeit gut, bereicherten das Programm aller Gesellschaften und halfen, alle Initiativen in Polen bekanntzumachen. Bereits im ersten Jahr wurde das Verhältnis zur Deutsch-Polnischen Gesellschaft e.V. mit Sitz in Düsseldorf heiß diskutiert. Beinahe alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten eine Zusammenarbeit mit dieser Gesellschaft sondiert, sie aber aus Furcht vor Überfremdung ihrer lokalen Interessen verworfen. Dabei hatte eine Steuerung dieser Gesellschaft durch DKP-nahe Kader durchaus eine Rolle gespielt. Sehr bald lag eine Einladung zu einem Gespräch anläßlich der Gründung einer Gesellschaft in Bielefeld auf dem Tisch. Die Sprecher der Norddeutschen kamen dort mit den Düsseldorfern überein, sich gegenseitig zu informieren und gemeinsame Gesprächsrunden mit dem Auswärtigen Amt in Bonn und der Polnischen Botschaft in Köln zu arrangieren, wobei die Norddeutschen für die Kontakte zum Auswärtigen Amt und die Düsseldorfer zu denen der Botschaft verantwortlich sein sollten.
Es ist einmal zu einer solchen Gesprächsrunde gekommen. Nur einmal, weil die zuständige Abteilungsleiterin im Auswärtigen Amt den Vorsitzenden der Düsseldorfer mit den Worten beschied, sie halte ihn „für das Sprachrohr des polnischen Gegenstücks zum Presse- und Informationsamt der Bundesregierung“. Etwaiges Vertrauen war ebenfalls zerstört, weil die Düsseldorfer sich unter dem Eindruck des Bielefelder Treffens einen neuen Namen mit übergreifendem Anspruch gegeben hatten. Sie hießen nun: „Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland“. Sie wollten die Dachgesellschaft sein und wurden in diesem Anspruch von der Botschaft der Volksrepublik Polen unterstützt. Das Verhältnis zu den „Düsseldorfern“ hat auf Jahre die Gespräche im Arbeitskreis beherrscht. Es tauchten dort und in den einzelnen Gesellschaften agents provocateurs auf, denen, weil sie verdeckt auftraten, auch nur verdeckt entgegengetreten werden konnte, was in Mitgliederversammlungen nicht immer einfach war. Konsens war jedoch, daß man sich nicht fremdbestimmen lassen wollte und der Kreis der Mitarbeitenden örtlich überschaubar sein sollte. Die „Norddeutschen“ sahen keinen Grund für einen Dachverband und sagten, wenn ein solcher angemahnt wurde: Wir kennen das Alphabet und wissen deshalb, welche Gesellschaft einlädt, den Vorsitz hat und die Butterbrote bezahlt. – Außerdem fragten uns die deutschen Stellen immer wieder, ob wir zu „diesen“ oder „jenen“ gehören würden.

8. „Die Wacht am Rhein“
Die Beziehungen zur Botschaft der Volksrepublik unter Botschafter Waclaw Piatkowski gestalteten sich – wie schon angedeutet – nicht einfach. Sie war schließlich von den immer zahlreicheren autonomen Gründungen in den Städten überrumpelt worden. Nach dem sowjetischen Vorbild, das mir eindrucksvoll im Jahre 1973 im Hause „Druschba“ an der Kremlmauer in Moskau vorgeführt worden war, hätten solche Gründungen zentral gesteuert und immer den eigenen Einfluß wahrend vorgenommen werden müssen.
Nun versuchte die Botschaft, verlorenen Boden wiedergutzumachen, indem sie auf die „Düsseldorfer“ Dachgesellschaft hinwies. Der Botschafter selber hat nach seiner Rückkehr nach Warschau die Beweggründe seines Handelns in einem Buch mit dem programmatischen Titel „Die Wacht am Rhein“ veröffentlicht. Auszüge hat die Friedrich-Ebert-Stiftung übersetzen lassen. Er sah es als seine Hauptaufgabe an, zu verhindern, daß westliche Einflüsse auf die Volksrepublik Polen übergriffen. Und genau dies wollten wir doch aber.
Nun verhandelt man nicht täglich mit dem Botschafter. Für die Gesellschaften waren natürlich Referenten in der Botschaft tätig. Wie ich dann später erfuhr, waren „unsere“ Referenten gleichzeitig aber auch für die DKP zuständig.
Welch Wunder, daß sie immer wieder versuchten, ihre beiden Arbeitsgebiete zusammenzubringen.
In der Atmosphäre stimmte etwas nicht. Es überraschte uns bei den unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen auch nicht. Wir waren jedoch auf die Botschaft angewiesen, wenn wir nach Polen wollten. Wir nutzten deshalb jede Gelegenheit, das Gespräch zu suchen und – wenn es auch schwer fiel – Termine in Köln wahrzunehmen. Regelmäßig wurden wir zum damaligen Nationalfeiertag der Volksrepublik eingeladen. So auch am 22. Juli 1974. Hier erfuhren wir zu unserer größten Verblüffung, daß für uns eine Reise nach Polen unmittelbar bevorstände.

9. Überraschendes Angebot
Tatsächlich kam wenige Tage danach die Aufforderung, die Päße zum Visieren einzusenden. Man erwarte uns in Warschau vom 7. bis zum 10. August. Wie aber nun die Reise arrangieren? Um die vier Plätze in meinem Auto zu nutzen, luden wir Werner Graßmann vom Abaton-Kino, damals Vorsitzender der AG Kino e.V., zur Mitfahrt ein, hoffend, es würde ihm in Warschau gelingen, polnische Filme für das Abaton und die westdeutschen Programmkinos überhaupt aufzutun. Oswald Beck wollte aus prinzipiellen Gründen nicht durch die DDR fahren. Alle hatten wir Mühe, uns während der allgemeinen Urlaubszeit von unseren Arbeitsplätzen zu lösen. Zum Glück war damals gerade eine Fährverbindung zwischen Lübeck und Swinemünde eingerichtet worden und die Verbindung war auch einigermaßen passend.
Kaum hatte der Senat getagt, sprang ich mit den anderen ins Auto und ab ging die Fahrt nach Lübeck, wo wir die Fähre gerade noch erwischten. Am nächsten Morgen dann der Start zu einer langen ermüdenden Fahrt vom nordwestlichsten Zipfel Polens nach Warschau, wo INTERPRESS für uns Quartier gemacht hatte.
Am darauf folgenden Tag der erste Besuch bei Jozef Dubiel und INTERPRESS, die damals noch an der Bagatela residierte – nicht weit vom Außenministerium entfernt, unserer nächsten Besuchsstation. Dort wurde uns vom zuständigen Abteilungsleiter in französischer Sprache eröffnet, daß man Hamburg bitten würde, im nächsten Jahr „Polnische Tage“ zu veranstalten und man der Freien und Hansestadt im Gegenzug anbieten würde, in Danzig eine vergleichbare Veranstaltung zu organisieren.Nun wurde klar, warum Jozef Dubiel so sehr darauf bestanden hatte, daß wir nicht schon nach fünf Tagen wieder abreisen sollten, sondern erst nach sieben. Wir sollten noch Danzig besuchen: „Sie wissen schon warum..“, sagte er. In der Tat war bekannt, daß einer CDU-Delegation im Frühjahr in Danzig der Vorschlag für eine Partnerschaft zwischen Hamburg und Danzig übergeben worden war und daß dieser Brief noch immer unbeantwortet in der Senatskanzlei lag.
Selbst wenn wir es gewollt hätten, wäre es nicht möglich gewesen, unseren Polenaufenthalt zu verlängern, dazu waren alle zu sehr verpflichtet, am vorgesehenen Tag wieder in Hamburg zu sein. In der Rathauspressestelle hatte ich beispielsweise Stallwache und hatte mir bei meinem amtierenden Vorgesetzten Urlaub gegen das feste Versprechen geholt, am nächsten Montagmorgen wieder da zu sein. – In Danzig hat man uns die Absage sehr übel genommen – mit der Konsequenz, daß es zur Partnerschaft mit Bremen kam.
Damals blieb uns nur übrig, uns zu entschuldigen – auch auf den drängenden Hinweis, der Danziger Stadtpräsident hätte sich gerade diese zwei Tage Zeit genommen, um mit uns zu sprechen. Eins konnten wir jedoch tun: die völlig verblüffte Botschaft von dem Angebot einer Veranstaltung auf Gegenseitigkeit zu unterrichten.
Werner Graßmanns und meine Kontakte zu Film Polski hatten glücklicherweise Erfolg. Es wurde nach Großbritannien der zweite ständige Auslandskontakt für die AG Kino. Folgende Filme konnten für das westdeutsche und das Hamburger Publikum beschafft werden: EIFERSUCHT UND MEDIZIN von Janusz Majewski, DER KREUZRITTER von Aleksander Ford und DAS SALZ DER SCHWARZEN ERDE von Kazimierz Kutz über den oberschlesischen Aufstand von 1920 – die letzten beiden interessante Reflektionen des Deutschenbildes der Polen.

10. Große Verhandlungsrunde
Erste Einzelheiten sollten im Zusammenhang mit der im Herbst in Essen stattfindenden „Polnischen Nationalausstellung“ besprochen werden. Dort werden wichtige Leute zugegen sein, meinte Dubiel. Da zwischendurch in Hamburg auftauchende polnische Gesprächspartner sich gegenüber der angekündigten Gegenseitigkeit sehr zurückhaltend verhielten, war die Reise nach Essen sehr wichtig. Es war beinahe das ganze INTERPRESS-Büro vor

Ort. Man hatte es gerade geschafft, die Ausstellung aufzubauen und war noch immer darüber empört, daß die Eisenbahnzüge mit dem Ausstellungsgut über drei Wochen in der DDR verschollen waren. Angeblich wußte dort niemand, auf welchem Abstellgleis die Waggons standen. Unser Gespräch über die beiden Veranstaltungen fand in einem großen Kreis statt. Den vier Hamburgern saßen etwa 40-50 Polen gegenüber – uns nur zum Teil bekannt. Wortführer war auf polnischer Seite der in der Kölner Botschaft für Kulturfragen zuständige Wodzimircz Gierowski. Dies war auch völlig unproblematisch, solange es um den Fahrplan für die Veranstaltung in Hamburg ging. Für die Polnischen Tage in Hamburg legten wir die hauptsächlich infrage kommenden Bereiche fest. Dabei half uns der stellvertretenden Hamburger Protokollchef Hans-Henrich Dörmer, der uns auch später bei vielen Gesprächen in Warschau und Danzig engagiert begleitete.
Inhaltlich schlugen wir vor, Aspekte der polnischen Kultur in den Mittelpunkt zu stellen, die den Westdeutschen bis dahin völlig unbekannt geblieben waren und die uns bei den Besuchen aufs Äußerste fasziniert hatten. Die Krakauer Sezession oder der Krakauer Jugendstil mit dem Dramatiker, Dichter und Maler Stanisaw Wyspiaski als zentraler Figur. Insbesondere die Aufführung seiner „Novembernacht“ im Krakauer Alten Theater hatte es mir angetan. Aus der Mitte der anwesenden Sejmabgeordneten regte sich aber sofort Widerspruch, gegen dieses Stück, das dem polnischen Widerstand und Volksaufstand gegen Rußland im Jahre 1831 gewidmet ist. – Es sei politisch ungeeignet.
Als wir dann die Gegenveranstaltung in Danzig ansprachen, stockte Gierowski und sah sich hilfesuchend nach einem jungen Mann unter den Zuhörern um. Nach einiger Zeit erhob er sich und leitete von da an, das Gespräch. Es war Jan Grzelak, zuständig im ZK der polnischen Arbeiterpartei für Propaganda und Ideologie. Und wir bekamen zum ersten Mal einen Einblick in die damals in allen kommunistischen Ländern vorhandene „Arbeitsteilung“: Sichtbar war für die Verhandelnden nur eine Gruppe von Beamten, die denen entsprachen, die man aus westlichen Ländern kannte. Hinter ihnen saßen – im Regelfall unsichtbar – die Parteibeamten, denen sie zu berichten hatten und die alle ihre Schritte kontrollierten.
Die Gegenseitigkeit war offensichtlich ein so heißes Eisen, daß die sonst Zuständigen es nicht in ihre Hände nehmen wollten. Grzelak wand sich deshalb zunächst, meinte dann aber, wenn die Gegenseitigkeit angekündigt sei, dann würde sie auch stattfinden. Auf polnischer Seite überlege man nur zur Zeit, ob nicht Stettin ein viel günstigerer Ort sei. Ein Wechsel von Danzig nach Stettin stieß jedoch auf unsere einmütige Ablehnung. Wir vereinbarten, die Gespräche Anfang des nächsten Jahres in Hamburg fortzusetzen, wo dann alles weitere zu vereinbaren sei. Bei mir blieb jedoch der Verdacht, daß die Gegenseitigkeit doch nicht so gesichert war, wie ich es zunächst angenommen hatte.
Unmittelbar nach dieser Verhandlungsrunde hatten wir ein denkwürdiges Erlebnis. Wir nahmen teil am Empfang des polnischen Botschafters zum Abschluß der Essener Veranstaltung – dies war der eigentliche protokollarische Anlaß unserer Reise. Ehrenplätze hatten viele Teilnehmer, darunter ganz besonders herausragend natürlich die Botschafter der Länder des sozialistischen Lagers, zu denen ebenfalls die DKP-Führung zählte. Bei soviel Protokoll war es dann doch seltsam, daß der Mensch, den wir soeben als den eigentlich Mächtigen erlebt hatten, sich still in den Saal schlich und auf einer der hinteren Reihen Platz nahm – ganz inkognito.

11. Das polnische Konzept
Noch vor Frühjahrsbeginn 1975 traf die zehnköpfige polnische Delegation ein, an der Spitze Grzelak und Dubiel sowie die exzellent deutsch sprechende Oberministerialrätin aus dem Ministerium für Kultur und Kunst Barbara Wojciul-Stokowska. Für die Künstleragentur PAGART – den kaufmännisch handelnden Teil der polnischen Seite – erschien Barbara Sliwiska, die uns dann durch viele Jahre immer wieder begegnete.
Die Bürgerschaft hatte inzwischen 400.000 DM für die Polnischen Tage bewilligt und dies ausdrücklich im Hinblick auf die angekündigte Gegenseitigkeit. Das Geld war für die Arbeitsgemeinschaft Hamburg-Information (AHI) vorgesehen, die die Veranstaltung mit unserer ideellen und tatkräftigen Hilfe durchführen sollte.
Das mehrtägige Verhandeln konnte also beginnen. Schnell stellte sich heraus, daß Frau Stokowska von unserer Präsentation des Krakauer Jugendstil wenig hielt. Die Idee sei zwar faszinierend. Man müsse aber doch das ganze Land darstellen. Unausgesprochen ging es ihr bei dieser Großveranstaltung darum, zu zeigen, wie tief die kulturellen Wurzeln der Polen im Westen verhaftet sind. Es ging ihr darum, den Hamburgern zu zeigen: „wir sind Euch gar nicht fremd!“ – ein schöner, ganz in unserem Sinne liegender Ansatz.
Damit wollte die polnische Seite bewußt einen anderen Weg gehen als bei den Polnischen Tagen in Hamburg 1971. Wie mir Botschafter Pitkowski erklärt hatte, war ihm diese Veranstaltung für die Bedeutung seines Landes zu klein geraten und ihr deshalb nicht würdig gewesen. Sicherlich hatte er auf seine Weise Recht – nur übersah er, daß diese Form der „Tage“ erhebliche lokale Initiativen ausgelöst hatte und in diesem Zusammenhang vielleicht gewichtiger als das nun zu planende Ereignis war.
Die aus Warschau eingeflogenen Spezialisten machten einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Behörden, AHI und Deutsch-Polnischer Gesellschaft Hamburg unter Vorsitz von Senatsdirektor Hans-Herbert Groothoff, dem Hamburger Protokollchef, ihre Angebote und nannten für die einzelnen Programmpunkte an die polnische Seite zu zahlende Preise, die zwar hoch zu sein schienen, die aber angesichts der angekündigten Gegenseitigkeit akzeptabel waren. Die Einzelheiten der ellenlangen Vereinbarung, in der ebenfalls Tagegelder, Unterkunft, Verpflegung, Honorare etc. der polnischen Teilnehmer geregelt wurden, waren in meinen Augen nicht das Problem, über das man sicht aufregen konnte. Es war vielmehr die in meinen Augen nur unvollkommen formulierte Gegenseitigkeit. Insbesondere waren keinerlei ins einzelne gehende Pflichten in Bezug auf die Hamburger Veranstaltung in Danzig festgelegt worden. Mein in Essen noch gewachsenes Mißtrauen in die Ernsthaftigkeit der Gegenseitigkeit schien sich zu bestätigen.
Angesichts meiner verschiedenen Rollen als Vorsitzender, stellvertretender Senatssprecher und F.D.P.-Politiker befürchtete ich, für eine unvollkommen ausgearbeitete gegenseitigkeitsvereinbarung politisch haftbar gemacht zu werden. Ich habe mich so bis an den Rand des Scheiterns der Verhandlungen insgesamt gegen eine weiche Formulierung gesträubt. Erst als alle anderen Hamburger Teilnehmer sie für annehmbar hielten, habe ich meinen Widerstand aufgegeben.
Der Abend dieses Verhandlungstages klang mit einem gemeinsamen Essen beider Delegationen aus. Bei ihm habe ich übrigens den mir selbst geleisteten Schwur, nie wieder ein Bier zu trinken, gebrochen. Als mich Grzelak aufforderte, mit einem Bier auf unseren Verhandlungserfolg anzustoßen, wies ich zwar auf den Schwur hin, konnte an diesem Tag einen Wunsch angesichts der gehabten Auseinandersetzung nicht abschlagen.

12. Blitzreise nach Danzig
Die endgültige Unterschrift unter den vereinbarten Text war dennoch im letzten Augenblick gefährdet. Im Rathaus erreichte uns unmittelbar vor der Unterzeichnung die Nachricht, daß der nach Danzig eingeladene Monteverdi-Chor der Universität plötzlich und ohne jede Vorwarnung ausgeladen worden sei und keine Visa bekäme. Auf die deutschen Partner wirkte dies wie eine beabsichtigte Provokation. Die polnische Delegation war ebenfalls wie vor den Kopf geschlagen.
Grzelak bemühte sich um einen telefonischen Kontakt mit Warschau und kam nach ziemlich langen Telefonaten mit der Nachricht zurück, eine unzuständige Stelle hätte die Sache zu veranworten. Der Monteverdi-Chor könne zur beabsichtigten Zeit fahren. Daraufhin wurde das Vereinbarte endlich unterschrieben. Eine schon lange geplante Englandfahrt mit meinem Sohn trat ich am nächsten Tag an. Mit Gerd Hoffmann hatte ich telefonische Kontakte abgesprochen. Nach kurzer Zeit hatte er erfahren, daß der Danziger Chorleiter den Hamburger Chor als Studentengruppe eingeladen hatte, was eine Unterbringung in Studentenheimen, Betreuung durch das polnische Studentenreisebüro vorsah, aber dem Hamburger Chor nicht das Recht gab, in Polen Konzerte zu geben. Allein vom Preis her war dies jedoch ein sehr attraktives Angebot, das Grzelak mit einem Sonderukas nun doch durchgesetzt hatte.
Gerd und mir war klar, daß unser Chor von diesen Bedingungen sehr enttäuscht und unsere Gegenseitigkeitsprojekte äußerst gefährdet sein würden. Die Sache mußte aufgefangen werden. Ich rief aus England Dieter Biallas, den Freund und Zweiten Bürgermeister an, ob er zu einer Spritztour nach Danzig bereit sei. Abenteuerlichem war er nie abgeneigt. Ich bat Gerd also, die Visa zu beschaffen, und eilte zurück nach Deutschland.
Am Freitag starteten wir nachmittags mit einer Gruppe, die neben Biallas, Gerd und mir aus Oswald Beck und Hans Blank als Vertreter des Kulturamtes bestand. Für zwei von ihnen sollte es zu einer schicksalsträchtigen Reise werden, weil sie in der kurzen Zeit Menschen für ihr Leben begegneten.
Im Warschauer Hotel gab es beim Abendbrot, zu dem INTERPRESS die an den Verhandlungen Beteiligten eingeladen hatte, eine intensive und für Dieter Biallas eine kontroverse Diskussion zur Frage, wie weit die Geschichte in die Alltagsbeziehungen zwischen Deutsche und Polen hineinreicht. Am nächsten Morgen ging es dann ganz früh nach Danzig. Es war offensichtlich so früh, daß ein Autofahrer unser Taxi auf einer Kreuzung mit voller Fahrt fast überfahren hätte. Wir kamen mit dem Schrecken davon.
In Danzig erwartete uns der Danziger Vertreter von INTERPRESS Alojzy Marchewicz. Er wähnte die Gruppe auf einer Besichtigungsfahrt und hatte dementsprechend ein ins einzelne gehendes Touristikprogramm für uns vorgesehen. Wir hatten unsere liebe Not, ihm zu erklären, daß wir am Kontakt mit unserem irgendwo zwischen Danzig und Zoppot untergebrachten Chor interessiert seien und für diesen etwas erreichen wollten. Die protokollarisch wichtigen Termine wurden aber dennoch wahrgenommen, schon um unseren Partner nicht zu sehr bloßzustellen. Am Nachmittag waren wir schließlich bei den Chormitgliedern gelandet, deren Stimmung – gelinde gesagt – sehr gereizt war. Schließlich halfen aber unsere Erklärungen, der Appell, unsere Verhandlungsposition nicht noch schwieriger zu machen, und die Aussicht auf ein Konzert im Dom von Oliva, Sitz des Danziger Bischofs, die Gemüter zu beruhigen. Eine Einladung der Chormitglieder in das Grand Hotel Zoppot zu einem richtigen Abendessen, das von der Herbergskost ablenkte, trug ebenfalls zur Besänftigung bei. Der Abend endete nach ausgiebigem Tanzen mit einem langen Spaziergang am mondbeschienenen Strand, mit dem wir die Gruppe zu ihrem Quartier brachten.
Marchewicz und dem Danziger Chorleiter war es dann tatsächlich gelungen, für den Sonntag Nachmittag ein Konzert im Olivaer Dom durchzusetzen. Die Kirche war brechend voll, obwohl der Termin nur während der morgendlichen Gottesdienste bekannt gegeben worden war. Man spürte, wie sehr das Auftreten des Chors und natürlich sein Gesang die Menschen begeisterte. Der Chor war befriedet.
Am Abend war es dann nach Essen, Feiern, Tanzen und Strandspaziergang wieder so spät geworden, daß wir am nächsten Morgen nur mit Mühen das Frühflugzeug nach Warschau erreichten. Es war ein wichtiger kleiner Ausflug – wie so häufig in den Beziehungen zu Polen damals. Und nur Gierowski meinte: Tun Sie mir einen solchen kurzfristig avisierten Besuch eines hochrangigen Politikers nicht noch einmal an!

13. Aufgaben für die Mitglieder
Langsam näherte sich der Termin für die „Polnischen Tage in Hamburg“, die Ende August gleichzeitig mit der Messe „Du und Deine Welt“ stattfinden sollten. Es fanden Gespräche zu Detailfragen statt, wie etwa, wo soll der polnische Koch die polnische Kochkunst demonstrieren? Es trafen die ersten Fachleute ein, die Stände aufbauten. Wir waren inzwischen als Arbeitsgruppe in die Arbeitsgemeinschaft Hamburg Information integriert, die zu ihrer Unterstützung bei dieser Aufgabe Gisela Ahuis engagiert hatte.
Als Vorstand der Gesellschaft würden wir endlich unseren Mitgliedern – nach soviel „Geheim“diplomatie, über die wir nicht öffentlich sprechen konnten – Gelegenheit verschaffen, sich bei den vielfältigen Aktivitäten zu engagieren und viele Polen kennenzulernen. Das Aufgabenpensum war schier erdrückend. Alle Beteiligten haben es aber bewältigt, ob sie nun Gäste oder Veranstaltungen betreuten oder auf dem Informationsstand bei glühendheißen Messetemperaturen Auskünfte über unsere Arbeit gaben.

14. Drei Gespräche
Drei Gespräche sind mir von diesen Tagen in besonderer Erinnerung geblieben: zwei, die mir sehr viel gegeben haben, und eins, das die politische Situation grell beleuchtet, in der die Veranstaltung stattfand:
Mit Mieczysaw Rakowski, dem damaligen Chefredakteur von Polityka und späteren Ministerpräsidenten, diskutierte ich im Haus Rissen unter der Moderation Von Theo Sommer von der ZEIT über das, was ich als den sozialpsyhologischen Hintergrund der Konflikte zwischen Polen und Deutschen empfand. Als ich das Thema gegenüber Jozef Dubiel ins Gespräch gebracht hatte, ahnte ich nicht, daß man Rakowski schicken würde. Es wurde eine fruchtbare Podiumsdiskussion, die nicht entlang der schon so oft breitgetretenen politischen Argumente verlief, sondern tiefenpsychologische Interpretationen aufdeckte.
Tadeus Róewicz begleitete ich auf dem Rückweg von der Premierenfeier im Thalia-Theater, wo es sein Stück „Auf allen Vieren“ gegeben hatte, zum Hotel. Wir sprachen über die Freiheit im allgemeinen und über die des polnischen Dramatikers im besonderen. Das dritte Gespräch fand mit einem polnischen Diplomaten statt, der sich entschuldigen mußte. Es war das erste und einzige Mal, das ich einen solchen diplomatischen Schritt hautnah erlebte. Die Harburger DKP hatte zu ihrer Feier zum 1.September damit geworben, daß diese mit einer polnischen Musikgruppe im Rahmen der „Polnischen Tage“ stattfinden würde. Wir hatten uns beschwert, weil eine solche Veranstaltung nicht zwischen uns abgesprochen war.

15. Mediensperre
Große Schwierigkeiten hatten wir, mit den „Polnischen Tagen in Hamburg“ die Medien zu erreichen. Die BILD-Zeitung nahm die Veranstaltung überhaupt nicht zur Kenntnis. Das Hamburger Abendblatt tat sich in den ersten Tagen mit dem Berichten sehr schwer. Obwohl wir während der zehn Tage über 320.000 Besucher und Besucherinnen gezählt haben, fanden wir einfach für diese beiden Zeitungen zunächst gar nicht statt.
Da mußte gegengesteuert werden. Mitglieder wurden animiert, bei den Redaktionen anzurufen, um dort nach den polnischen Veranstaltungen zu fragen. Glücklicherweise gab es einen sehr großzügigen Vertrag mit der Hamburger Außenwerbung und sehr, sehr viele Plakate aus Polen. Es wurde geklebt und geklebt, so daß zum Schluß über 111.000 Plakate an Litfaßsäulen und Stellwänden hingen. Diese Flut scheint die damalige Redaktion des Abendblattes überzeugt zu haben. Während der zweiten Hälfte der „Tage“ wurde so über sie berichtet, wie es die elektronischen Medien schon von Anfang an taten. Die kritische Schwelle war überschritten. Die Hamburger und die Umlandbewohner nahmen Kenntnis.

16. Besuch beim alten Partner
Die Polnischen Tage in Hamburg hatten Interesse für die Gesellschaft sowohl in Polen als auch in Hamburg geweckt. Wir merkten es daran, daß wir eine ganze Reihe von Gästen gewinnen konnten, an der Spitze damals Andrzej Szypiorski, der aus seinem Buch „…und sie  gingen an Emmaus vorbei“ las, das später unter dem Titel „Die schöne Frau Seidelmann“ auf  die deutsche Bestsellerliste kam. Unsere Veranstaltungen waren gut besucht.
Ein Interesse für Polen zu haben, wurde zwar nach wie vor als etwas exotisch empfunden, aber aus diesem Grunde von manchen als irgendwie wichtig.
Beim Gesprächspartner INTERPRESS folgte kurz nach der Hamburger Veranstaltung ein Wechsel in der Führungsgruppe. Chefredakteur Janusz Moszczeski wurde Kommentator von Trybuna Ludu und später deren Korrespondent in Bonn, Jozef Dubiel wurde Korrespondent von INTERPRESS in Ost-Berlin. Ob dieser Wandel, den wir als Herabstufung empfanden, mit der Hamburger Veranstaltung zusammenhing, haben wir nie ergründen können.
Auf jeden Fall hatten wir unseren wichtigsten Gesprächspartner in Warschau verloren und damit auch den Anknüpfungspunkt für die versprochene Gegenveranstaltung in Danzig. In Ost-Berlin angekommen, ließ uns Jozef Dubiel wissen, daß er sich auch unter den veränderten Umständen als im Wort befindlich empfände. Schließlich habe er in Warschau genügend Verbindungen und, falls es notwendig sein sollte, möchten wir doch gerne Kontakt zu ihm aufnehmen.
Irgendwie empfanden wir die Notwendigkeit im Herbst 1976 aber auch das Bedürfnis, den alten Partner wiederzusehen. Oswald Beck, Gerd Hoffmann und ich machten uns also auf den Weg, Dubiel in seiner Ostberliner Wohnung zu besuchen, die einen Steinwurf vom Übergang Heinrich-Heine-Straße entfernt lag. Für Oswald Beck war es eine Überwindung, den Ostsektor zu betreten, – und ein bißchen mußte er ja doch wider den Stachel löcken, indem er einen „Spiegel“ mitsichführte, den ihm die Zöllnerin mit den Worten „Sie wissen doch…“ abnahm und in den Reißwolf warf.
In diesem Fall wollte Dubiel – verständlicherweise – uns nicht im Westen treffen, was für ihn ja durchaus möglich gewesen wäre. Mit der Versicherung, in Warschau für uns anzuklopfen, endete der Besuch. – Wir haben Jozef Dubiel danach nicht mehr wiedergesehen. Der Kontakt war leider abgerissen.

17. Hamburg keine Partnerin
Das Jahr 1976 war in den deutsch-polnischen Beziehungen bestimmt vom Besuch des Staats- und Parteichefs Edward Gierek bei Bundeskanzler Helmut Schmidt. In Hamburg zeigte Schmidt seinem Gast die private Wohnung in Langenhorn. Dort sollen sie sich dem Vernehmen nach auf vier bis fünf Städtepartnerschaften und das Deutsch-Polnische Forum geeinigt haben. Sowohl die Partnerschaften als auch das Forum haben übrigens ihre Schöpfer
politisch überlebt und sind durch alle Jahre hindurch Brücken zum Verständnis zwischen beiden Völkern gewesen.
Leider waren wir Hamburger nicht dabei. Nach dem Gierek-Besuch wurde zwar intern zwischen Rathaus und Handelskammer über eine Partnerschaft diskutiert. Die Handelskammer war aber ablehnend – eine Haltung die sich verstärkte, als Haifa zusätzlich als Partnerstadt Hamburgs ins Gespräch gebracht wurde. Man hielt mit der Begründung, wir treiben Handel mit der ganzen Welt und wollen niemanden bevorzugen, die bestehenden Partnerschaften mit Marseille und Leningrad sowieso für Sündenfälle.
Hamburg ließ es sich damals nicht nehmen, den Gierek-Besuch wie einen Staatsbesuch zu zelebrieren. Zum feierlichen Empfang im Großen Festsaal wurden – dank unserer Bemühungen – viele Mitglieder eingeladen. Bei dieser Gelegenheit konnten wir die Gesellschaft vorstellen, was angesichts der vielen Journalisten und Beamten aus Polen sehr wichtig war. Für mich brachte der Abgleich der polnischen und der rathäuslichen Hierarchien es mit sich, daß ich zum Ehrenbegleiter des polnischen Vizeaußenministers Jozef Czyrek bestimmt wurde. Nun saß ich während der vielen Autofahrten im Konvoi neben ihm, und natürlich habe ich immer wieder von unserer Gesellschaft und ihren Aktivitäten berichtet. So intensiv, daß ich noch nach Jahren an diesen Kontakt anknüpfen konnte.
Während des Besuches war die polnische Seite im übrigen so euphorisch, daß man mir bereits einen Herrn aus der Begleitung als den künftigen Konsul in Hamburg vorstellte. Bis zur Gründung einer konsularischen Vertretung sollte jedoch noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen – eine Zeit, in der wir immer wieder Aufgaben vor Ort übernahmen, die eigentlich von ihr zu bewältigen gewesen wären.
Dazu gehörte es in späteren Jahren auch, eine Delegation aus dem Warschauer Außenministerium zu besänftigen, die völlig unzufrieden mit den Häusern war, die ihnen die deutsche Seite für ein Konsulat angeboten hatte.

18. Gespräche in Danzig
Langsam begann unser Bohren bei Dubiel, Czyrek und der Kölner Botschaft doch Früchte zu tragen. Mitten im Winter kam eine Einladung nach Warschau und Danzig. Zunächst sollten wir über die Möglichkeiten Danzigs informiert werden – also die Größe der Bühnen,  Ausstellungsräume (hierunter die Eissporthalle in Oliva), Unterkünfte usw. Die Zahl der Anschlagtafeln war gering. Dementsprechend sollten wir nur verhältnismäßig wenig Plakate
liefern. Im Gegenzug wurde eine größere Zahl von Druckschriften zugestanden, die die polnische Seite sich jedoch vor dem Druck ansehen wollte. In einer zweiten Runde sollten dann die eigentlichen Verhandlungen folgen.
Als Termin der Hamburger Tage wurde mit dem Vizepräsidenten von Gdask Kazimierz Rynkowski der Zeitraum zwischen Himmelfahrt und Pfingsten 1977, vom 19. bis zum 29. Mai, festgelegt.
Noch war jedoch tiefer Winter. Zum Abschluß unserer Gespräche wurden wir von Rynkowski zu einer Schlittenfahrt durch die Kaschubei eingeladen, die mit einem großen Lagerfeuer endete, um das getanzt wurde und in dem wir Würstchen grillten. Vorher war mein Schlitten jedoch abgeglitten und umgefallen. Zum Glück geschah weder Menschen noch Pferden bei diesem Unfall etwas, weil der Schnee weich und hoch war – ein Erlebnis über das
später noch viel geschmunzelt wurde. Ich war nämlich auf den neben mir sitzenden Hand Blank gefallen und hatte es mit Rücksicht auf ihn nicht gewagt, mich zu rühren. Vielleicht wäre ihm ja doch ein Knochen gebrochen meinte ich. Er dagegen muß doch sehr unter meinem Geicht gelitten haben.

19. Schwieriges Verhandeln
Es folgte die zweite Reise nach Danzig. Sie führte uns zunächst nach Warschau, wo wir mit ernster Miene von Rynkowski, dem Danziger Vizepräsidenten, erwartet wurden. Die polnische Seite war sich völlig uneins, wer denn nun für die Hamburger Veranstaltung in Danzig zu zahlen hatte. Wir wurden benötigt, um die staatliche Konzertagentur PAGART zu überzeugen – oder vorzuführen, wie immer man es will.
Jetzt rächte sich, daß PAGART bei der Vorbereitung der Hamburger Veranstaltung sehr hohe Preise für die Theateraufführungen und Konzerte verlangt hatte. Wir forderten für die Hamburger Ensemble vergleichbare Summen und Honorare, die PAGART offensichtlich in Schwierigkeiten brachten. Wir argumentierten: „Sind unsere Orchester und Schauspielgruppen etwa nicht so gut wie Eure?“ – ein Vorbringen, dem Rynkowski offensichtlich folgte. Da
eine Gegenveranstaltung „im vergleichbaren Umfang“ vereinbart worden war, mußte PAGART nun in unsere Gagenforderungen einwilligen. Das kulturelle Programm für Danzig (vgl. den Beitrag von Gerd Hoffmann) sah nun ein Auftreten des Staatsopern-Balletts von John Neumeier, eine Aufführung des Deutschen Schauspielhauses, ein Konzert von James Last in der Waldbühne, einen Jazzabend mit Hamburger Gruppen in den Kasematten der ehemaligen Zitadelle, eine von der Kunsthalle gestaltete Ausstellung im vergleichbaren Danziger Museum und eine Filmreihe im größten Kino vor. Das Verhandeln mit Kazimierz Rynkowski war selbstverständlich ebenfalls von dieser Formel bestimmt. Da Hamburg die Reisekosten für alle Teilnehmer der Polnischen Tage 1975 bezahlt hatte, erhoben wir den Anspruch auf Gegenseitigkeit, der auch niemals infragegestellt war. Ebenfalls war allen Beteiligten klar, daß die Anreise mit dem Flugzeug stattfinden sollte – was nicht ausgesprochen wurde: schon um eine hinderungsstrategie der DDR ins Leere laufen zu lassen. Wir wollten also gemeinsam eine Luftbrücke zwischen Danzig und Hamburg einrichten. Nur das Zählen war in den Verhandlungen schwierig: Mit der von LOT einzurichtenden Luftbrücke sollten immerhin rund 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Hamburg nach Danzig und zurück transportiert werden. Es kostete über zwei dramatische Stunden, der Danziger Seite vorzurechnen, daß hierfür acht statt sieben Flüge zwischen beiden Hansestädten notwendig seien. Der erste Hinflug nach Hamburg wäre ebenso leer wie der letzte Rückflug von Hamburg. Ich war sehr froh, als das Gespräch über die Zahl der Flüge beendet war. Nichts ist unangenehmer, als wenn man es mit einem rationalen, hier mathematischen Zusammenhang zu tun hat und der Verhandlungspartner einem ungute Motive unterstellt.
Unser Programmkonzept war: den Arbeitsalltag der Hamburger und Hamburgerinnen in den Mittelpunkt von Ausstellung und Schriften zu stellen. Thies Boysen war der Hamburger Ausstellungsmacher, der unsere Stadt mit Großfotos rund um einen Messepavillion in der Eissporthalle von Oliva entstehen lassen wollte. Rund um den zentralen Informationsstand konnten private Unternehmen, die sich auf dem polnischen Markt zeigen wollten, Stände mieten. Die Vermietung war nicht einfach. Da sie eine Säule unseres Finanzierungsplans war, haben wir lange gebannt auf den Vermietungsfortgang gestarrt, immer in der Furcht, daß aus dem ganzen Vorhaben nichts werden könnte. Eine besonders prominente Akquisition war die Burmah Oil mit dem örtlichen Bevollmächtigten Dieter Hardt. Wegen des Rennen fahrenden Sohnes des damaligen polnischen Ministerpräsidenten hatte seine Firma eine bevorrechtigte Stellung in der Volksrepublik. Belebend war ebenfalls Peter Boué mit seiner gleichnamigen Firma.
Weitere Programmpunkte betrafen die Sportler – allen voran die Segler, die allerdings später bei der Einfahrt in die Danziger Bucht mit Wind und Kälte heftig zu kämpfen hatten – und Jugendgruppen, für die Besuche bei Gleichaltrigen und Gleichgesinnten arrangiert wurden.
Während die Vorbereitungen in Hamburg liefen, wollten wir ebenfalls die Bonner Stellen für unser Vorhaben gewinnen, das für die damalige Zeit in seinem Umfang ungewöhnlich war. Die Senatskanzlei kümmerte sich um Zuschüsse von der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Schon meine berufliche Stellung in der Hamburger Staatlichen Pressestelle machte mich zum Verhandlungspartner des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung und dort insbesondere mit Hagen Graf Lambsdorff und Alfred Reinelt von der Auslandsabteilung.
Wir vereinbarten die Übernahme eines großen Stapels von Informationsmaterial, das unmittelbar nach Danzig geschickt werden sollte.
Erstaunlich waren während der Vorbereitungszeit die häufigen Besuche des sowjetischen Konsuls. Unter Hinweis auf seine aus Danzig stammende Frau und seine Dienstzeit dort erkundigte er sich nach vielen Einzelheiten unserer Planungen, die ich ihm, soweit sie veröffentlicht waren, nicht vorenthalten konnte.
Bei der polnischen Botschaft beantragte ich ein damals höchst seltenes Visum zur dreimaligen Einreise unter Verweis auf meine gegebenenfalls erforderliche Mobilität. Es mußte auch gleich genutzt werden.
Letzter Abschnitt der Vorbereitungen war für mich ein Hin- und Rückflug nach Warschau an einem Tag, um die deutschen Korrespondenten in Polen über unsere Veranstaltung eine Woche vor ihrem Beginn zu unterrichten.
Nachfragen hatten ergeben, daß man in Warschau eine Woche vor dem Danziger Ereignis noch nichts von polnischer Seite erfahren hatte. Dies hatte mich höchst mißtrauisch gemacht, so daß ich mich zu einer Pressekonferenz auf dem Warschauer Flughafen entschlossen hatte – in die Stadt hineinzufahren, war bei diesem Flug Hamburg-Frankfurt-Warschau-Wien-Stuttgart-Hamburg aus zeitlichen Gründen nicht möglich.

20. Erlebnisse in Danzig
Es war schon ein tolles Gefühl, am Montag, dem 16. Mai, morgens früh den ersten Flug der selbst geschaffenen Luftbrücke nach Danzig anzutreten. Es klappte alles. Selbst die Aufbaumannschaft von der Messebaugesellschaft stand am Flughafen und konnte pünktlich zurückgeflogen werden, so daß das Flugzeug am gleichen Tage noch ein zweites Mal von Hamburg fliegen konnte.
Enttäuschend war jedoch, daß kaum ein Plakat in den Straßen zu sehen war, auf dem Veranstaltungen der „Hamburger Tage“ angekündigt waren. Marchewicz, der Danziger INTERPRESS-Vertreter, entschuldigte sich damit, daß man zuwenig Zeit für eine Plakatierung gehabt hätte. Ich war etwas verblüfft, hörte dann aber später, daß das ZK erst am Freitagnachmittag, dem 13. Mai, endgültig grünes Licht gegeben hatte. Vielleicht hatte ja meine Warschauer Blitzreise doch noch etwas bewirkt.
Am nächsten Tag hingen aber alle Plakate. Nun war es die Hamburger Seite, von der Unsicherheit ausging. Uns erreichten Nachrichten, daß dem Reporter des Hamburger Abendblattes Egbert A. Hoffmann ein Visum versagt worden sei. Von Paul Otto Vogel, dem Leiter der Staatlichen Pressestelle erhielt ich ein langes Fernschreiben, daß es wegen des nicht erteilten Visums außerordentlich ungewiß sei, ob die Delegationen von Senat und
Bürgerschaft jemals Danzig erreichen würden. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Echternach hätte erklärt, daß er nur mit Hoffmann nach Danzig reisen würde. Bürgermeister Hans-Ulrich Klose würde sich bei seinem Warschauer Besuch um ein Visum für den Abendblatt-Mitarbeiter bemühen. Falls dies jedoch nicht gelänge, würde er unmittelbar nach Hamburg zurückreisen.
Natürlich war zu erwarten, daß die polnische Seite das Fernschreiben mitlesen und auch seinen entschiedenen Ton bemerken würde, mit dem ebenso die polnische Seite wie auch mein eigenes Verhalten gemeint sein konnte, der ich außerhalb meines Amtes olche politischen Abenteuer inszenieren würde. Die von mir für wenige Stunden später in Danzig anberaumte Pressekonferenz stand deshalb auf tönernden Füßen. Absagen konnte ich sie nicht
mehr, ohne nicht einen Eklat zu riskieren. Also bluffte ich und ging davon aus, daß alle Beteiligten Danzig erreichen würden. Zum ersten Mal in Hamburgs Geschichte würden die Spitzen der Legislative – einschließlich der Fraktionsvorstände – und die der Exekutive gemeinsam ins Ausland reisen. Eine so einmalig hohe Besetzung sei als der politische Wille des Stadtstaates nach besseren Beziehungen zu Polen zu verstehen.
Nachdem es dem Bürgermeister gelungen war, beim zweiten Mann in Staat und Partei das fehlende Visum zu erwirken, stand Kloses und Echternachs Ankunft in Danzig am Himmelfahrtstag nichts mehr im Wege – wenn auch die Stimmung zwischen beiden auf einem Tiefpunkt angekommen war und sie eigentlich nicht unter einem Dach im Regierungsgästehaus wohnen wollten. Aber auch diese Krise wurde gemeistert.
Mit ihnen kamen Bürgerschaftspräsident Herbert Dau und die Fraktionsvorsitzenden Ulrich Hartmann (SPD) und Maja Stadler-Euler (F.D.P.). Die hohe Besetzung mit Vertretern des Parlaments erzeugte bedauerlicherweise eine protokollarische Schieflage: Weil Danzig kaum über eine Legislative verfügte, gab es für die Vertreter der Bürgerschaft nur wenige Gesprächspartner. Der Bürgermeister dagegen wurde von der dortigen Exekutive mit Terminen eingedeckt.
Leider kam Friedrich Riethmüller, damals stellvertretender Vorsitzender unserer Gesellschaft, auf den wir dringend warteten und der im gleichen Flugzeug sitzen sollte, niemals in Danzig an.
Ein Autounfall bei Harburg wenige Stunden vor dem Abflug war die Ursache, wie wir erst Tage später erfuhren. Für ihn wurde es ein langanhaltender Krankenhausaufenthalt. Danzig auf der Arbeitsebene war ganz anders als erwartet. In der von unserem Vorstand gebildeten fachlichen Arbeitsgruppe, die die Hamburger Delegationsleitung beriet, mußten Gerd Hoffmann, Oswald Beck und ich nun ohne Friedrich Riethmüller auskommen.
Plötzlich wimmelte es in unserem Zentrum von deutschsprechenden Begleiterinnen und Begleitern, die einzelne Hamburger umschwärmten, denen wir zentrale Aufgaben für die Veranstaltung gegeben hatten, wie zum Beispiel mit Fotos zu dokumentieren. Die neuen Gesichter erklärten, sie kämen irgendwie aus Polen oder aus Berlin. Schön aussehende Frauen waren es meist, die Geräte oder Taschen mit Utensilien trugen und sich sofort als
Vertraute ihrer Bezugspersonen ausgaben. Diese hatten sie vorher aber nicht gesehen, wie sie auf meine Nachfragen erklärten. Es war auffällig, daß unsere Leute aufgrund ihrer Werkaufträge alle Programmpunkte abzudecken hatten und ihre Begleitungen deshalb das gesamte Geschehen beobachten konnten. Man hatte unwillkürlich den Eindruck eines Agentennestes, schon weil die Neuaufgetauchten ganz offensichtlich gezielt angesetzt worden
waren. Erfreulicherweise war niemand aus der Gesellschaft oder aus den Behörden betroffen.
INTERPRESS wurde in unserem Informationszentrum durch Stanisaw Modrzyk vertreten, den wir schon von Essen und Hamburg her kannten. Zur Seite stand ihm Adam Krzepkowski, der dann durch zehn Jahre hindurch in seiner Organisation für die Beziehungen zu unserer Gesellschaft verantwortlich sein sollte.
Wichtigster Punkt unseres Terminkalenders waren die täglichen Konferenzen der Leitungsgruppen mit Rynkowski und Groothoff an der Spitze. Gedacht waren sie ja, um zu koordinieren, hier noch einen Saal zu öffnen, dort noch mehr Quartier bereitzustellen. Diese Routineangelegenheiten nahmen meist nur wenig Zeit in Anspruch. Dazu kannten sich die Gesprächsteilnehmer inzwischen zu gut. Beschäftigt haben uns aber die 100.000 Plastiktüten mit den deutschen Nationalfarben, die zusammen mit etwa 450.000 Druckschriften vom Bundespresseamt geliefert worden waren.
Die schwarz-rot-goldenen Plastiktüten wurden unseren Helfern buchstäblich aus den Händen gerissen. Schließlich waren Einkaufsbeutel damals in Polen Mangelware. Offensichtlich wurden sie ebenfalls auf dem schwarzen Markt verkauft. Was aber das Faß zum Überlaufen brachte, war, daß sie mit der Zeit im Danziger Straßenbild auftauchten und dort zu einem dominierenden Faktor wurden. Stunden über Stunden wurde ebenso über eine Schrift beraten, mit der sich die Bundesrepublik vorstellte und die gleichermaßen von Bonn geliefert worden war. In ihr wurde gefragt: Wieviele Minuten muß man in Westdeutschland arbeiten, um sich ein Ei oder auch andere Güter des täglichen Lebens kaufen zu können? Offensichtlich wurde die Schrift allerorten in der Weichselstadt diskutiert.
Dabei hatte die polnische Seite einer Verteilung von Plastiktüten und der Schrift während der Posener Messe geduldet. Unsere Hamburger Druckschrift hatte die polnische Seite vor dem Andruck einsehen können. Alle Sachen waren einzeln akzeptiert. In der Menge wurden sie in Danzig aber zum Gesprächsgegenstand und lösten gruppendynamische Prozesse aus.
Mitglieder der Gesellschaft und freiwillige Helfer sind in diesem Zusammenhang insbesondere zu nennen: Jan Dolny, der eine ebenfalls von Bonn zur Verfügung gestellte Quizmaschine in polnischer Sprache bediente und richtige Antworten des Publikums zu den Verhältnissen in der Bundesrepublik mit Preisen belohnte: kleine Schraubenziehersätze mit dem Aufdruck „Bundesrepublik Deutschland“. Marion Gollin, Marcella Däwers und Dierk
Jessen hatten bei der Ausgabe der gewaltigen Papiermassen am zentralen Informationsstand wirklich alle Hände voll zu tun. Wir sind in den zehn Tagen beinahe das gesamte Papier losgeworden, immerhin 550.000 Druckschriften.
Abends war der Treffpunkt schließlich der Nachtklub des Hotels, der „Hades“. Er und die Menschen in ihm waren repräsentativ für die polnische Gesellschaft jener Zeit. Dort saß die Delegation des ZK aus Warschau neben Gruppen von Kaufleuten aller Art. Hier wurden wir von den Vertretern der Opposition, von Schriftstellern und Wissenschaftlern diskret angesprochen und befragt – was schließlich angesichts der lärmenden Musik für niemanden irgendwelche Folgen hatte. Aber auch an diesem Ort verließ uns die aktuelle Situation nicht:
An der Bar sprach man mich auf die Plastiktüten an, was mich schließlich überzeugte, die Ausgabe der uns von Bonn überlassenen Plastiktüten zu stoppen – nachdem 60.000 Exemplare unter die Besucherinnen und Besucher gebracht waren.

21. Kein Ansatzpunkt danach
Möglicherweise hatten wir den Bogen in Danzig etwas überspannt, möglicherweise haben sich der Werftarbeiter Lech Wasa und die späteren vielen Danziger Mitgründer der Solidarität aus der Ausstellung und den verteilten Druckschriften informiert: niemand weiß es. Ein Zusammenhang mit dem Entstehen dieser polnischen Gewerkschaftsbewegung, die schließlich ursächlich für den Fall der Mauer und das Verschwinden der Sowjetunion war, erscheint möglich – wenn er auch nicht nachgewiesen werden kann. Wie anläßlich der Kongresses der deutsch-polnischen und der polnisch-deutschen Gesellschaften in Danzig im Mai 1997 zu erfahren war, sind die damaligen Hamburger Tage nicht vergessen. Prominentester Zeuge ist der heutige Stadtpräsident Tomasz Posadzki, der damals Gymnasiast war, und sich an Einzelheiten gut erinnert: „Wir spürten des Hauch des Westens.“ Politik ist eben wie Max Weber sagte: das Bohren von dicken Brettern mit untauglichen Mitteln. Kurzfristig endete Danzig für uns damit, daß es keinen Ansatzpunkt für Hamburger Kontakte nach Polen mehr gab. Für Bremen war der Weg zu einer erfolgreichen Partnerschaft mit Hans Koschnick frei – als der hinter dieser Friedensarbeit stehenden Kraft. Jan Grzelak wurde nach Krakau versetzt – was ebenfalls wie eine Strafaktion aussah. Und die Danziger Stadtverwaltung wurde dazu gezwungen – wie wir dann später hörten – die Partnerstadt
Leningrad zu einer vergleichbaren Veranstaltung mit dem gleichen finanziellen Aufwand aus der Danziger Stadtkasse einzuladen.
Im Nachhinein entpuppten sich die Fragen des sowjetischen Konsuls und das bemerkenswerte Ausmaß von deutschsprechenden Fremden rund um unsere Danziger Veranstaltungen als sehr zielgerichtet.

22. Suche nach Kontakten
Nach den wiederholten „Strafaktionen“ gegen unsere Gesprächspartner fehlte mir – ehrlich gesagt – zunächst etwas der Mut zu einem neuen Versuch, Kontakte anzubahnen. Es begann eine Zeit der Unzufriedenheit, in der wir uns im Vorstand wechselseitig Mut zusprachen, aber auch der vermochte nur bedingt zu trösten. Friedrich Riethmüller – inzwischen von den Folgen des Unfalls auf dem Wege nach Danzig genesen – versuchte die Treue zu halten, obwohl er inzwischen Kulturdezernent in Göttingen geworden war. Es zeigte sich aber, daß er die Aufgabe, unser musikalisch-kulturelles Gewissen zu sein, aus der Ferne doch nur schwer leisten konnte, so daß sich der Charakter der Gesellschaft merklich wandelte.
Ein weiterer Einschnitt rührte daher, daß Oswald Beck nur noch bedingt einsetzbar war. Vor der Bürgerschaftswahl war er vor die Alternative gestellt worden, entweder als Kandidat wiederaufgestellt zu werden oder sich für die Arbeit mit Polen zu entscheiden. Er hatte letzteres gewählt, was uns sehr ehrte, ihn aber dennoch bei seinem Mitwirken behinderte. Der CDU-Vorsitzende Jürgen Echternach hat sich später dann bei mir förmlich bedankt, daß unsere Gesellschaft überparteilich arbeitete und wir uns stets um die Zusammenarbeit aller damals in der Bürgerschaft vertretenen politischen Kräfte bemühten – offensichtlich geschah dies, um einer Fehlinterpretation vorzubeugen.
Oswald führte eine Reihe seiner Freunde in den Vorstand ein. Hier sind besonders Norbert Thurow, Rainer Blumenthal und Manfred Dahlke zu nennen. Ursula Wagner war Dorothea Wick als Schatzmeisterin nachgefolgt und blieb es dann viele Jahre bis sie ihrerseits von Helga Sturm abgelöst wurde, die ebenfalls viele Jahre im Vorstand mitarbeitete. Gerne entsinne ich mich der Zusammenarbeit mit Peter Foth, dem Mennonitenpastor. Von der
SPDBank sind Bodo Fischer, Konny Neumann und Uwe Zimmermann zu nennen.
Bei allem Wechsel im eigenen Vorstand: An gleichartigen Gesprächspartnern in Polen fehlte es der Gesellschaft nach wie vor, wenn wir auch inzwischen über viele Kontakte verfügten und den Mitgliedern viele Vorträge und Diskussionen mit polnischen Referenten bieten konnten. Einer, der sich seinerseits engagieren wollte, war der Völkerkundler Przemysaw Burchardt, der gemeinsam mit dem Journalisten Andrzej Rayzacher in Warschau den Verein „Interethnika“ zu gründen versuchte, was jedoch von den dortigen Behörden verboten wurde.
Wiederholt hörten wir damals von den offiziellen polnischen Stellen, man wolle keine polnisch-deutschen Gesellschaften dulden.
Was also tun, um dauerhafte Kontakte aufzubauen? Wir verlegten uns darauf, möglichst viele Beziehungen zwischen Vereinen in Hamburg und in Polen zu stiften, quasi ein Netzwerk zu schaffen. Dies ging sehr gut zwischen Sportverbänden, Schulen, Lehrervereinen und Volkstanzgruppen.
Die Mitglieder arbeiteten ebenfalls mit uns an einem solchen Netzwerk. Ein Beispiel war die Bitte der damals noch ganz neuen Mitglieder Aleksandra Jeszke-Zillmer und Hartwig Zillmer, die Deutsch-Polnische Gesellschaft möge doch die Schirmherrschaft über eine demnächst stattfinden Ausstellung eines polnischen Karikaturisten in der Galerie „Morgenland“ in Eimsbüttel übernehmen. Damals habe ich zugesagt, weil man doch jede Möglichkeit beim Schopfe greifen sollte. Gebracht hat diese Schirmherrschaft dann die Begegnung mit ROBS oder bürgerlich: Robert Szecówka, der seit 1986 in Hamburg lebt und die Karikaturen in dieser Jubiläumsschrift gezeichnet hat.
Ein weiterer Weg war, Kontakte außerhalb von Botschaft, Außenministerium und INTERPRESS aufzubauen. Persönlich angenehm waren dabei stets die Begegnungen mit den Angehörigen des deutschsprachigen Dienstes des Polnischen Rundfunks. Die Treffen mit Irena Osiska und ihrem Mann waren immer interessant, aber auch feuchtfröhlich und gingen bis spät in die Nacht, wobei Gerd Hoffmann und ich viel über die polnische Psyche gelernt
haben. Mit Aleksander Opalski waren die Gespräche nicht ganz so privat, dafür aber ergebnisreicher. Die Journalisten konnten zwar über uns berichten, uns interviewen, was nach Deutschland zurück wirkte. Sie konnten uns aber nicht helfen, eine Gruppe in Warschau zu finden, die eine Partnerin für unserer Gesellschaft gewesen wäre.
Wichtig waren die Kontakte zu Sejmabgeordneten, von denen aber bei weitem nicht alle unseren Zielen wohlgesonnen waren. Die Volksrepublik Polen hatte Ende der siebziger Jahre eine Gruppe von „Experten“, die Vorträge in Westdeutschland halten durften, ohne daß sie jedesmal um Erlaubnis fragen mußten. Von ihnen kam ein Teil aus weltanschaulichen Gründen für uns überhaupt nicht infrage. Die Mitglieder beschwerten sich sowohl über die geringe Auswahl, die wir ihnen bieten konnten, als auch über die ideologische Beifracht. Einen, den wir gerne einluden, war Wilhelm Szewczyk, Sejmabgeordneter aus Kattowitz (Giereks Heimat und deshalb wohl bevorrechtigt), Literat und Herausgeber einer literarischen Zeitschrift. Doch zu Wilhelm Szewczyk später noch mehr. Wen wir uns ab und zu wegen seines Wissens um die nationale Auseinandersetzung in Danzig und Westpreußen anhörten,
war Edmund Mclewski. Gerade als parteiloser Sejmabgeordneter meinte er wohl, seinen Worten stets eine gewisse ideologische Beifracht mitgeben zu sollen.
Ein erfreulicher Gesprächspartner war für uns in dieser Zeit Janusz Reiter, der spätere polnische Botschafter, der damals als Gast in der ZEIT-Redaktion arbeitete und für eine lebhafte Diskussion in der Gesellschaft sorgte.

23. Unerwartetes Gespräch
Alle diese Kontakte konnten nicht genug Futter für tatendurstige Mitglieder und Vorständler sein. Die Großveranstaltungen hatten uns doch gezeigt, was möglich war. Nachdem wir nicht mehr zu Dritt reisen konnten, unternahm ich im August 1979 allein eine Sondierungsreise, die ich gegenüber der Botschaft als touristische Reise mit meinem Sohn deklarierte. Es wurde eine Reise mit bemerkenswert langen Grenzkontrollen insbesondere in der DDR,
die sich dann bei späteren Reisen immer wiederholten, so daß ich mich mit der Zeit darauf einstellte.
Beim obligaten Besuch in der Botschaft der Bundesrepublik erfuhr ich vom Pressereferenten Heinrich Eckert während eines Spaziergangs auf den Straßen – denn die schienen ja abhörsicher zu sein -, daß der damalige Botschafter am gleichen Nachmittag seinen  Abschiedsempfang geben würde. Man lud mich zu diesem Empfang im Garten der Botschafterresidenz ein.
Immerhin, es war die ganze damalige polnische Prominenz erschienen. Welch ein Fortschritt gegenüber den zurückliegenden Jahren. Unter den Gästen war ebenfalls Vizeaußenminister Czyrek, der mich fragte, ob ich denn am Sonnabend Zeit hätte, da würde er sich gerne mit mir unterhalten. Er gab mir seine Telefonnummer, als ich etwas zögerte, weil ich mit meinem Sohn an diesem Tag eigentlich Krakau besichtigen wollte. Nach einem nochmaligen Durchdenken der Tourgestaltung habe ich dann am nächsten Tag zugesagt. Und was folgte, war eine rasende Tour nach Krakau, Auschwitz und zurück nach Warschau.
Am Sonnabendmorgen stand ich um 9 Uhr im Außenministerium auf der Matte. Der Kern des Gespräches mit Czyrek, das sich natürlich langsam aufbaute, war: „Sie haben bewußt die östliche Option für die polnische Außenpolitik gewählt. Eine nördliche oder südliche gibt es weit und breit nicht. Die Deutschen werden aber Ihre Nachbarn noch in 1000 Jahren sein.
Müssen Sie nicht doch eine Vorkehrungen für eine westliche Option treffen? Und wie verträgt es sich damit, daß Sie unsere Gesellschaften praktisch in der Luft hängen lassen?“ – „Da ist etwas dran,“ meinte Czyrek.
In rasender Eile wurde ich unter den Abteilungen des Außenministeriums herumgereicht, um schließlich – die Dienstzeit war am Sonnabend schon vorbei – bei der Nationalen Front als nach einem Gesetz von 1932 für gesellschaftlicher Auslandskontakte zuständiger Stelle zu landen. Von ihrem Generalsekretär Zdzisaw Kanarek erfuhr ich, daß für die Kontakte nach Deutschland – einerlei ob West oder Ost – die Gesellschaft des Westinstituts in Posen – also nicht das Institut selber sondern eher der „Trägerverein“ aus 220 Wissenschaftlern – zuständig sei. Man würde diesem Verein die Dringlichkeit unserer Wünsche nahebringen.
Mehr war wohl nicht zu erreichen. Wie politisch das ganze Umfeld aber war, konnte man aus dem Bemerken eines Außenamtsbeamten schließen, der sich mir gegenüber befremdet zeigte, daß die damals gegründete Bremer Gesellschaft keinen DKP-Funktionär in ihren Vorstand aufgenommen hatte. Wie später zu erfahren war, hatte sich die DKP wohl in Moskau oder Pankow über die hier ganz unschuldigen Polen beschwert.

24. Ein Jugendwerk
Auf meinen Bericht über diese Reise wurde im Segeberger Kreis vorgeschlagen, ein Deutsch-Polnisches Jugendwerk zu gründen. Eine Satzung hatten wir nicht, aber den gemeinsamen festen Willen, einen solchen Verein zu schaffen. Das Wichtigste sei, so empfanden die Vertreter aller norddeutschen Gesellschaften, nun den Jugendaustausch auf irgendeine Weise in Gang zu setzen.
Nach dem Ausarbeiten einer Satzung sollte der Dachverband in Göttingen gegründet werden, wo gerade eine neue deutsch-polnische Gesellschaft entstanden war. Als dort gewählter Vorsitzender habe ich mich dann daran gemacht, alle offiziellen Stellen in der Volksrepublik Polen und in der Bundesrepublik Deutschland von unserer Gründung und unseren Zielen zu unterrichten. Während das erste Echo auf deutscher Seite befriedigend war, ließ das polnische leider zu wünschen übrig. Die Zeit war offensichtlich noch nicht reif, wie sich später zeigen sollte. Gierowski, der Botschaftsrat aus Köln, sprach davon, daß wegen irgendwelcher Zwischenfälle in der Tschechoslowakei Reisen polnischer Jugendlicher sehr restriktiv gehandhabt würden.

25. Besuch aus Polen
Um die Jahreswende 1979/80 meldete sich eine Delegation des Posener Westinstituts an. Alle Gesprächsteilnehmer waren uns seit längerem bekannt und dennoch begannen sie zum soundsovielten Male unseren Standpunkt zum Warschauer Vertrag und zur polnischen Westgrenze zu erfragen. Ob sie uns damit einschüchtern wollten oder es tatsächlich nicht glauben wollten, daß es in Westdeutschland Leute gab, die keine aggressiven Absichten gegenüber Polen verfolgten, haben wir nicht ergründen können.
Offensichtlich kamen sie aufgrund meiner Intervention bei Czyrek. Leider war das Ergebnis des Besuchs jedoch niederschmetternd. Die Delegation hatte zuvor die Düsseldorfer Gesellschaft besucht und mit ihr einen Alleinvertretungsvertrag geschlossen. Wir sollten unsere Beziehungen von deren Gnaden aufbauen – eine Position, die wir überhaupt nicht akzeptieren konnten. Schade, eine weitere Chance, Gesprächskontakte aufzubauen, war vertan.

26. Forum in Darmstadt
Im Mai 1980 fand in Darmstadt das 3. Deutsch-Polnische Forum statt, zu dem ich von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eingeladen wurde. Darmstadt war gewählt worden, weil dort ein Kind des ersten Forums von 1977, das Deutsche Polen-Institut, seine Arbeit aufgenommen hatte.
Was man damals noch nicht wußte, es war die letzte Versammlung, auf der die polnischen Betonköpfe das Sagen hatten und in so großer Zahl vertreten waren. Dies zeigte sich besonders, als den polnischen Delegationsmitgliedern verboten wurde, eine Einladung zum Tee im Institut anzunehmen. Sein Leiter Karl Dedecius hatte sich unbotmäßig benommen, weil er seine Studien nicht nur auf die Schriftsteller der Volksrepublik beschränken wollte, sondern auf alle polnischen Literaten – also auch die im Exil lebenden – erstreckte. Bei seinem Abschiedsbesuch in Hamburg anderthalb Jahre später sprach der polnische Botschafter Bieliski den Vorfall überraschender Weise an, um zu bekennen, daß der Boykott ein großer Fehler gewesen sei. So hatten sich die Zeiten mit der „Solidarität“ geändert.
Darmstadt war für mich jedoch ebenfalls aus einem anderen Grunde enttäuschend: durch Zufall war ich bei einem Mittagessen am Tisch des ZK-Sekretariats gelandet. Das war die Gelegenheit für Elzbieta Michalowska, mir bekannt als Diskussionsteilnehmerin für das Allpolnische Komitee für die Jugend bei den Polnischen Tagen 1971 und nun rechte Hand von Pitkowski, der inzwischen der außenpolitische Machthaber in der Partei geworden war, mir zu erklären: „Wir wollen Ihr Jugendwerk nicht. Wir wissen, daß Sie in Ihrem Land dafür viel Geld auftreiben können, aber gerade deshalb wollen wir es nicht!“
Während der Rückreise von Darmstadt war also genügend Zeit und Gelegenheit, über fehlgeschlagene Versuche zum Schaffen von dauerhaften Gesprächskontakten für unsere Gesellschaft nachzudenken. Aber wie hatte Heinrich Eckert, ein Diplomat aus der Warschauer Botschaft, angesichts unseres Danziger Verhandlungsergebnisses gesagt: Sie haben gezeigt, daß Sie die andere Seite mit viel Geduld weichklopfen können. Sollte man dran
bleiben? Manchmal fehlte doch schon der Mut. Zwischen einzelnen Verbänden, Schulen und anderen klappte es mit den Gesprächen, bei denen wir Pate gestanden oder sonstwie geholfen hatten. An erster Stelle ist hier die durch Vermittlung von Hans-Joachim und Ingrid Seeler sowie der Stiftung F.V.S. von Alfred C. Töpfer zustandegekommene Verbindung mit Resovia Saltans, der Volkstanzgruppe der Pädagogischen Hochschule Rzeszow zu nennen.
Hier trugen Fleiß und Energie von Gerd Hoffmann Früchte – zugleich war die Beziehung durch die Jahre erfolgreich, weil die Menschen in dieser östlichen Stadt Polens sich wohl immer ihrer Lage an der Peripherie ihres Landes bewußt waren.

27. „Polnischer Herbst ’81“
Die plötzlichen Erfolge der „Solidarität“ im August 1980 kamen ebenfalls für uns völlig überraschend. Kontakte waren zwar leicht zu schaffen, die Gewerkschaftsmitglieder mit ihren eigenen Angelegenheiten jedoch sehr beschäftigt. Die Teilnehmer einer schon länger zuvor von der Gesellschaft angesetzten Busreise wußten viel zu erzählen. Anknüpfungspunkte hatten sich jedoch nicht ergeben. Gleichfalls brachte ein Loccumer Polenseminar zur Bestandsaufnahme der Umwälzungen in Polen trotz hoher Besetzung auf beiden Seiten (u.a. Willy Brandt und Mieczysaw Rakowski) keine ausbaufähigen Kontakte. Dazu waren die Polen zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Wir fanden, ein weiteres Großereignis könnte uns helfen, zu den gewünschten Kontakten zu kommen. Tatsächlich gelang es, die Bürgerschaftsfraktionen zu überreden, für einen „Polnischen Herbst 1981“ DM 50.000 zur Verfügung zu stellen. Das war zwar bei weitem nicht der Rahmen der beiden Vorläufer. Der Betrag könnte aber doch reichen, fanden wir – sogar unseren Wunsch erfüllen, Besuche polnischer junger Menschen einzuschließen.
Gerd Hoffmann und ich reisten Ende April nach Polen, um über Programmöglichkeiten mit INTERPRESS, PAGART, dem Kulturministerium und anderen uns bekannten Stellen zu sprechen. Es war schon ein tolles Erlebnis, den Wettbewerb der Maiaufzüge zwischen der „Solidarität“ und der Partei zu erleben und nachher auf Einladung der „Bauernsolidarität“ ins Kino zu gehen.
Mit unseren Programmverhandlungen hatten wir ebenfalls Erfolg. Diesmal wollten wir die Stadt Warschau in den Vordergrund stellen, in der Hoffnung, daß sich hierauf Beziehungen unterhalb der Ebene einer förmlichen Partnerschaft ergeben könnten.
Zukunftsträchtig – wie sich später herausstellte – war der Vorschlag von Gierlowski, wenn es schon keine Schulkinder sein könnten, wie wäre es denn mit Studenten und wir hätten doch in Hamburg dieses wunderbare Institut DESY. Wir haben dann eine Gruppe von etwa 20 Studentinnen und Studenten zu einem vierwöchigen Praktikum bei DESY eingeladen, nachdem Einzelheiten mit dem Institut abgesprochen waren. Örtlich wurden die Praktikanten, von denen etliche schon Doktoranden waren – denn in Polen hatte es einen Ansturm auf die DESY-Plätze gegeben -, von Lisi und Adolf Vogel betreut. Dieser Programmpunkt wurde ein voller Erfolg. Vogels und auch ich standen noch viele Jahre im Kontakt mit den Praktikanten.
DESY und die Institute der Praktikanten vereinbarten – unabhängig von uns -, das Programm fortzusetzen. Es wird immer noch gepflegt. Und nach fünfzehn Jahren erschien Anfang 1997 eine Delegation des Sejm, um die heutigen Bedingungen für dieses Programm zu untersuchen – eine Aktion, die wirklich Bestand hatte.
Um den Höhepunkt des „Polnischen Herbstes“ zu feiern, hatten wir die Senatskanzlei überreden können, im November 1981 einen Senatsempfang für alle Teilnehmer und Mitglieder im Großen Festsaal des Rathauses auszurichten. Als polnischen Ehrengast hatten wir den Vizepräsidenten von Warschau, Stanisaw Bielecki, gewinnen können. Rasch wurde er sich mit dem Hamburger Gastgeber Staatsrat Diether Haas darin einig, daß vielleicht eine Verbindung unterhalb einer Partnerschaft möglich wäre, indem beide Städte das Patronat über eine Vereinbarung zwischen der „Gesellschaft der Freunde Warschaus“ und unserer Gesellschaft übernehmen würden. – Wir atmeten auf. Jetzt würde es die lang ersehnte Grundlage für gesellschaftliche Kontakte geben.
Für mich persönlich war das mit dem Polnischen Herbst verknüpfte Kinoprogramm im Abaton ein besonderes Arbeitsfeld. Die Veranstaltungsreihe sollte mit einer Matinee von „Der Mann aus Eisen“ von Andrzej Wajda am 13. Dezember 1981, einem Sonntagmorgen, enden. In der Nacht zuvor war in Polen der Kriegszustand ausgerufen worden. Zu dieser Vorstellung erschien deshalb niemand – oder lag es am plötzlichen Schneefall an diesem
Morgen? Gottseidank war der Film vorher aber ganz erfolgreich gelaufen. – Fünfundzwanzig Filmkopien lagerten im Abaton. Auf indirektem Wege erreichte mich die Bitte, diese Kopien – unter denen viele waren, die Gedanken der „Solidarität“ widerspiegelten – vorerst nicht nach Warschau zurückzusenden. Ganz offensichtlich wollten führende Mitarbeiter von Film Polski sie als eine Art Faustpfand im Westen behalten. Die Kopien wurden dann anderthalb Jahre später zurückgesandt.
Mit dem Kriegszustand waren unsere Hoffnungen auf eine stetige Kontaktbasis erneut dahin. Die Situation erschien uns nun hoffnungsloser denn je, zumal eine große Zahl von Mitgliedern unter Hinweis auf das nicht hinnehmbare Kriegsrecht in Polen ihre Mitgliedschaft aufkündigte.

28. Kriegsrecht
In der nächsten Zeit taten wir, was getan werden konnte. Es wurden überschüssige Medikamente, die damals üblichen Probepackungen, bei Ärzten und Apothekern gesammelt, in Kisten verpackt und unter abenteuerlichen Umständen mit geliehenen oder sonstwie gesponsorten Lastkraftwagen nach Polen gebracht. Bald waren alle Räume der Neuen Gesellschaft an der Rothenbaumchaussee, mit der wir nach wie vor zusammenarbeiteten, mit Medikamenten gefüllt, die nach Auslaufdatum und  Hauptwirkungsgebiet von uns Laien sortiert wurden. Im Frühsommer 1982 erreichte mich ein Hilferuf aus der polnischen Botschaft in Köln: es würde eine wichtige Persönlichkeit des polnischen Staates nach Hamburg kommen. Leider habe man niemanden, ihn zu betreuen. Ob die Gesellschaft dies nicht übernehmen könnte.
Es handelte sich um den damaligen Vizemarschall (= Vizepräsidenten) des Sejm, Zbigniew Gertych, einen Professor für Gartenbau an der Posener Universität und zugleich Präsident der polnischen Akademie der Wissenschaften. Gertych war schon lange zuvor als einer der Präsidenten des gerade in Hamburg stattfindenden Gartenbaukongresses gewählt worden und mußte nun während der ganzen Kongreßdauer in Hamburg ausharren. Er sprach vorzügliches Deutsch und wohnte in einem kleinen Hotel am Hauptbahnhof – denn mehr konnten er oder Polen sich damals nicht leisten. Er entpuppte sich als ein Idealist, der schon bei den Posener Unruhen zugunsten von Gomulka im Jahre 1956 mit anderen Professoren und den Studenten Partei ergriffen hatte. Er war jetzt von der vaterländischen Ehrlichkeit seines Freundes Jaruzelski überzeugt. In langen Gesprächen und bei vielen Besichtigungsfahrten konnte ich ihn von der Notwendigkeit ständiger gesellschaftlicher Kontakte zwischen unseren Ländern überzeugen. Dabei half ebenfalls ein Empfang, den die Gesellschaft für ihn und die alle anwesenden polnischen Professoren und Studenten in der Evangelischen Akademie gaben.
Bevor ich mit Gertych das Hotel zu unseren Abendspaziergängen verlassen konnte, mußten wir in seinem Zimmer die Tagesschau ansehen. Verständlich, daß ein politischer Mensch stets teilhaben möchte. Er sagte wiederholt:
„Polen hat 50.000 Offiziere und 50.000 Priester. Beide sind die Ordnungsmächte im polnischen Staat und garantieren ihn.“ Seine Reaktionen auf die Berichte aus Polen und die dort stattfindenden Demonstrationen gegen das Kriegsrecht waren aber für mich sehr seltsam. Er fragte nämlich immer: Haben Sie richtige Arbeiter als Demonstranten erkannt? Wenn es nur Jugendliche waren, ist es nicht so schlimm. Erst wenn Arbeiter im mittleren Alter mitstreiken, dann haben wir verloren.

29. Erneut in Warschau
Die Gegeneinladung für unsere Bemühungen um Gertych ließen nicht lange auf sich warten. Ende Januar 1983 fuhren Gerd Hoffmann und ich nach Warschau, wo wir diesmal im Hotel Parkowa, dem Regierungsgästehaus neben dem Belveder, untergebracht wurden. Unser Höflichkeitsbesuch im Außenministerium endete – schlicht gesagt – mit einem Fiasko.
Vielleicht, weil wir jetzt Kontakte auf der parlamentarischen Schiene hatten. Vielleicht auch wegen einer eher flappsigen Bemerkung von mir – von der „Solidarität“ mit der „Solidarität“, worauf die Gesichter zu Eis erstarrten. Auf jeden Fall hieß es: Sie wollen eine polnischdeutsche Gesellschaft hier in Polen – wir sind dagegen. Sie wollen ständige Kontakte – die gibt es nicht. So ging es über eine Stunde.
Wie anders dagegen der Besuch bei Gertych, der uns in seinem Arbeitszimmer im Sejm empfing – in herzlicher Atmosphäre und umgeben von wunderschönen Blumen, eine Besonderheit in diesen Januartagen.
Durch seine Vermittlung landeten wir wieder bei der Nationalen Front, die sich gerade in PRON umwandelte, die Unterstützerorganisation für Jaruzelski. Und wieder hatten wir es mit Zdzisaw Kanarek zu tun. Wir machten ihm klar, daß wir die Einschaltung des Posener Westinstituts nicht akzeptieren könnten. Ob er nicht unser Gesprächspartner sein könnte.
Dies wurde nach einiger Zeit akzeptiert und zugleich vereinbart, daß wir den Vorschlag für ein Jahresprogramm gemeinsamer Aktivitäten ausarbeiten würden. Während der langen Stunden der Rückfahrt haben Gerd und ich dann ein Musterprogramm durchgesprochen. Hindern mußte ich ihn allerdings daran, es niederzuschreiben, bevor wir die Grenze der Bundesrepublik erreicht hatten – wie gut, denn in Zarrentin wurde jeder Zipfel Papier, den wir bei uns hatten, darunter viele Pressemitteilungen von PRON, in einer stundenlangen Prozedur fotokopiert. Offensichtlich sind die Berichte der Stasi verloren gegangen. Wie mir die Gauckbehörde unlängst mitteilte, hat man bisher nur einige Karteikarten gefunden.
Den Aufenthalt in Warschau hatten wir ebenfalls genutzt, neben einem Besuch bei INTERPRESS, die uns aber – weil kein Auftrag vorlag – überhaupt nicht mehr helfen konnten, den Kontakt zu alten Bekannten aufzunehmen, darunter zu Janusz Reiter, der damals für die Zeitschrift Przegld Katolicki arbeiten konnte, zu Wilhelm Szewczyk, der uns später noch vielfältig unterstützte, und zu Marek Rzeszotarski, damals persönlicher Referent des Schulministers und späterer Generalkonsul in Hamburg.
Trotz unseres mehrer Seiten umfassenden Programmvorschlages den wir dann sehr bald Kanarek zusandten, wollte sich doch nichts bewegen. Wir beschlossen deshalb im Sommer mit einer größeren Vorstandsdelegation, zu der Ursula Wagner, Jan Dolny und Rainer Blumenthal neben mir gehörten erneut nach Warschau zu fahren, um wieder auf den Busch zu klopfen. Diesmal wurden wir von Gertych in der Akademie der Wissenschaften empfangen, wo er – hoch über den Dächern Warschaus – in den obersten Geschossen des Kulturpalastes residierte. Der Gartenbauprofessor war stets von Blumen umgeben. Zum Essen lud er ins HORTEX-Restaurant am Alten Markt, wo es – auch in dieser schwierigen Zeit für Polen – erlesene Gemüse und Früchte gab.
Unsere Visite in Warschau hatte zwar kaum Erfolg, gab aber den einzelnen  Vorstandsmitgliedern die Möglichkeit ihre inzwischen angenommenen und übernommenen Projekte zu verfolgen. Außerdem hatten wir intensive Gespräche mit Wilhelm Szewczyk. Schließlich hatte dieser Besuch in Warschau jedoch ein Ergebnis, von dessen vollem Umfang wir erst Jahre später erfuhren. Der damalige Pressereferent der Botschaft der Bundesrepublik
Klaus Reiff hatte zu unseren Ehren zu einem Empfang in seiner Privatwohnung geladen, zu dem erstaunlich viele Gäste gekommen waren – alles gute Bekannte aus den letzten zehn Jahren, denn der Gastgeber hatte uns aufgefordert, ihm alle Namen zu nennen, die eingeladen werden sollten.
Dieser Empfang war für uns sehr schön, weil man so vielen Menschen wiederbegenete. Er war aber auch eine der wirksamsten Hilfen, die unsere Gesellschaft jemals vom Auswärtigen Dienst erhalten hat. Einige der Gäste gestanden nämlich später, wie ihnen dieser Empfang und unser Erscheinen Mut gemacht hätten. „Als wir Sie sahen, da wußten wir, daß das Leben doch weitergeht.“

30. Langsamer Wandel
Während fast alle vorher geknüpften Kontakte sich nach Verkündung des Kriegsrechts auflösten oder zumindest stark schwankten, traf das auf die Beziehungen zur Pädagogischen Hochschule in Rzeszow nicht zu. Hier konnte unser Spezialist für Sportangelegenheiten, Gerd Hoffmann, schon bald wieder neu beginnen. Zwar hatten auch hier die Personen gewechselt. Die neuen Leute waren aber ebenfalls bereit, nicht so sehr auf Warschau zu hören.

Verblüffend war ebenfalls der Besuch des polnischen Arbeitsministers Antoni Rajkiewicz, der um eine Vortragsgelegenheit vor den Mitgliedern nachsuchte und frei von der Leber weg die Probleme der polnischen Volkswirtschaft ansprach. Langsam begann sich der Charakter der Gesellschaft zu wandeln. War er vorher beinahe ausschließlich von Deutschen bestimmt, die mehrheitlich wenige oder gar keine Beziehungen zum Land jenseits von Oder und Neiße hatten und sich aus politischer Überzeugung für den Frieden zwischen Polen und Deutschen einsetzten, so traten jetzt mehr und mehr Menschen in den Vordergrund, die mit ihrer Person für einen Brückenschlag standen – meistens Polinnen, die einen Deutschen geheiratet hatten.
Der Wandel wurde besonders bei den Vorstandswahlen 1983 und 1985 deutlich, als zwei Frauen aus dieser Gruppe in den Vorstand gewählt wurden. Es waren Aleksandra JeszkeZillmer und Teresa Lemke. Sie brachten ihre Beziehungen zu Polen und ihren Erfahrungsschatz in die Arbeit der Gesellschaft ein, so daß trotz der widrigen Großwetterlage immer wieder kleine Fortschritte möglich waren. Obwohl uns manchmal der Mut verließ, ob wir denn schließlich einen Durchbruch schaffen würden, ermunterte uns dennoch das entstehende Netzwerk der Beziehungen. Als Senatorin a. Irma Keilhack in der Mitgliederversammlung 1984 mit gewissem Recht feststellte, daß es angesichts der allgemeinen politischen Lage von der Gesellschaft doch gar nicht zu schaffen sei, beständige Verbindungen zu knüpfen, sprach sie mir mit ihrem Verständnis zwar aus dem Herzen und dennoch widersprach ich ihr, weil wir von unseren kleinen Schritten überzeugt waren.
Die Arbeitsteilung im Vorstand begann sich immer deutlicher zu entwickeln, nachdem die medizinische und andere humanitäre Hilfe mit der Zeit in den Hintergrund trat. Gerd Hoffmann engagierte sich verstärkt in Rzeszow. Jan Dolny versuchte eine Partnerschaft zwischen den Bezirken Warschau-Mitte und Hamburg-Mitte aufzubauen – ein Vorhaben, das von seiner Bezirksversammlung, in der er Mitglied war, durchaus akzeptiert, von der Senatskanzlei dagegen abgelehnt wurde. Aleksandra Jeszke-Zillmer kümmerte sich um die Beziehungen zu ihrer Heimatstadt Tczew und später mit ihrem Mann um ökologische Fragen im Verhältnis beider Länder, während Teresa Lemke nach und nach das gesamte Stettiner Musikleben erfolgreich nach Hamburg holte. Alle haben über ihre Mühen mit diesen Projekten in Beiträgen zu dieser Jubiläumsschrift berichtet. Ein weitere Schwerpunkt war schließlich – wie schon in der Vergangenheit möglichst viele Beziehungen und Partnerschaften zwischen Hamburger Vereinen und korrespondierenden Institutionen in Polen zu stiften, um so den Gedanken der Verständigung voranzutreiben.

31. Forum in Krakau
Bei mir blieben die überregionalen Aufgaben, die allerdings mehr und mehr Zeit erforderten. Hier war zunächst das Deutsch-Polnische Forum in Krakau im Jahre 1985 zu nennen, bei dem die deutsche Beteiligung sehr hoch angesiedelt war. So konnte man unter den anwesenden Bundestagsabgeordneten ebenso wie unter den Wissenschaftlern von der Gesellschaft berichten und für ihre Ziele werben. Die polnische Seite war aber noch weitgehend vom Kriegsrecht gelähmt, so daß eigentlich nur der dort erneuerte Kontakt zu Wilhelm Szewczyk etwas brachte.
Er wollte erneut versuchen, unsere Bemühungen auf der Parlamentarierebene zu unterstützen. Wir unternahmen eine Vorstandsreise, um mit unseren verschiedenen Vorhaben weiterzukommen. Bei dieser Gelegenheit besuchten wir ebenfalls Gertych. Leider wurde schließlich doch nichts daraus, weil das Außenministerium sich mit dem Hinweis durchsetzen konnte, daß die Bemühungen von „falscher Seite“ gekommen seien.
Interessant war es, in Krakau – wie immer – mit Marek Jdrys aus dem Außenministerium zusammenzutreffen. Ende der siebziger Jahre war er als junger Attaché Referent in der Kölner Botschaft für die deutsch-polnischen Gesellschaften gewesen. Mit ihm konnte ich damals über alle unsere Schwierigkeiten reden. Er hatte stets ein offenes Ohr, was die Gespräche in  Krakau ebenfalls förderte – nun nachdem er auf der Kariereleiter einige Schritte zurückgelegt hatte – denen bis heute weitere folgen sollten.

32. „Dialog“
Wenige Monate nach dem Krakauer Forum versuchte die Evangelische Akademie Loccum – eigentlich in der Rückschau zum letzten Male – ein deutsch-polnisches Journalistentreffen zu arrangieren. Auf staatlicher Ebene war die Beteiligung mit den beiden Außenministern verhältnismäßig hoch. Bei den polnischen Journalisten ließ sie jedoch zu wünschen übrig, weil die Teilnahme von Vertretern oppositioneller Blätter nicht genehmigt worden war. Die Gespräche verliefen dementsprechend zäh und trocken.
Am Rande der Konferenz kamen die anwesenden vier oder fünf Vorsitzenden der norddeutschen Gesellschaften zum Ergebnis, daß man das Feld der deutsch-polnischen Beziehungen publizistisch nicht allein der in Düsseldorf beheimateten Gesellschaft überlassen dürfte. Zwar hatten sich die bestimmenden kommunistischen Kader mit dem Aufkommen der „Solidarität“ zunächst zurückgezogen – weil es ihnen zunehmend an weltanschaulichen Argumenten fehlte. Nun jedoch waren neue Personen aufgetaucht, die die Fragen zwischen Polen und Deutschland in einer für unsere Gesellschaften unerträglichen Weise interpretierten. Weil sie die einzigen waren, die eine Zeitschrift herausgaben, wurden natürlich nur sie zitiert, was unsere Mitglieder zunehmend irritierte.
Die anwesenden Vertreter der norddeutschen Gesellschaften kamen nach einem Gespräch mit dem Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt Barthold C. Witte überein, die juristische Grundlage für die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift zu legen. Daraus entstanden im Laufe der nächsten Monate die Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Polnische Verständigung und die Zeitschrift Dialog, für die wir als Chefredakteur Günter Filter, ein Mitglied der Hamburger Gesellschaft, gewinnen konnten.
Der Zusammenschluß sollte ausdrücklich keine Dachgesellschaft sein. Im Namen wurde deshalb an den Segeberger Kreis angeknüpft, der auch nach wie vor zusammentreten sollte. Der Titel der Zeitschrift war Programm. Weil man es uns immer wieder versagte, mit polnischen Partnern auf einer gesellschaftlichen Ebene zu sprechen, wollten wir den „Dialog“ mit ihnen über die Zeitschrift aufnehmen. Jeder von uns hatte von Polinnen und Polen viele
Visitenkarten erhalten – wie dies in allen Ländern üblich ist, in denen sich die Schreibweise von Eigennamen nicht eindeutig aus ihrer Sprechweise ergibt. An alle diese Anschriften wollten die Mitgliedsgesellschaften die Zeitschrift versenden, um so das Gespräch über die Grenze einzuleiten.
Für die Hamburger Gesellschaft war der regelmäßige ehrenamtliche Versand von mehreren Hundert Exemplaren der Zeitschrift eine große physische und finanzielle Anstrengung, die sich aber letztlich lohnte. Die polnische Seite begriff sehr schnell und machte uns Angebote für Gesprächsforen, die sich aufgrund der sich wandelnden politischen Großwetterlage allerdings auch ständig änderten.
Zum Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft war als Neutraler Hartmut Reichardt gewählt worden, der Moderator der deutsch-polnischen Konferenzen in Loccum. Ich wurde einer der stellvertretenden Vorsitzenden, was bewirkte, daß die unmittelbare Arbeit für die Hamburger Gesellschaft zwangsläufig in den Hintergrund trat. Die Herausgabe der Zeitschrift gestaltete sich als schwierig, was viele Vorstandssitzungen der neuen Arbeitsgemeinschaft – meist in der Südheide, gleich weit von Hannover, Bremen und Hamburg entfernt – erforderte.

33. Einzelgänger
Mit zwei Personen hatten wir in jenen Jahren viel in Hamburg zu tun: Zum einen war es Mieczysaw Cherek, der inzwischen Direktor der ORBIS-Niederlassung in Hamburg geworden war. Cherek kannten wir bereits von den Polnischen Tagen in Hamburg. Damals war er einer der Vertreter des polnischen Sportverbandes gewesen. Bei den Hamburger Tagen in Danzig waren wir ihm als Chef des Sportamtes der dortigen Wojwodschaft wiederbegegnet. Nun half er uns natürlich mit dem Arrangement von Reisen nach Polen. In Zusammenarbeit mit ihm haben wir ebenfalls zu vielen gutbesuchten kulturellen Veranstaltungen in seiner Niederlassung am Glockengiesserwall eingeladen.
Der Zweite war Kazimierz Bolinski aus Warschau, der zu uns als Journalist für Zeitschriften für das polnische Handwerk kam. Wie bald zu entdecken war, handelte er eigentlich als eine Ein-Personen-Polnisch-Deutsche-Gesellschaft in Warschau. Im Vordergrund standen zwar immer Handwerksprojekte, von denen leider nicht alle erfolgreich waren. Im Hintergrund war stets sein Ziel zu spüren, sich für den Brückenbau zwischen beiden Ländern einzusetzen. Wir trafen uns häufig mit diesem pensionierten Major, der in Polen anscheinend Teil des unsichtbaren Netzwerkes der Offiziere war und als Mitglied der Heimatarmee in der Region Wilna Schweres durchgemacht hatte. Von den Sowjets nach Kriegsende gefangen genommen, hatte war er mit seinen Kameraden in die unterschiedlichsten Teile der Sowjetunion verschleppt worden. Sie hatten viele Jahre benötigt, um endlich den Kriegsgefangenenstatus zu erhalten, den ihre ehemaligen deutschen und oft im gleichen oder benachbarten Lager einquartierten Feinde von vornherein hatten. Auch wenn die Gespräche manchmal schleppend verliefen, haben
wir uns um diesen idealistisch gesonnenen und uns darin durchaus gleichenden Menschen gerne bemüht, der zudem voller Ideen war, wie eine Partnerschaft zwischen den Bezirken Warschau-Mitte und Hamburg-Mitte schließlich doch zustande kommen könnte.
Kazimierz Bolinski verfügte über besonders gute Beziehungen zu einem Warschauer Reisebüro, bei denen Ausländer damals kaum landen konnten. Meist schaffte er es, binnen weniger Stunden Fahrkarten nach Berlin und zurück zu erstaunlichen Preisen zu beschaffen.
Und wenn es gar nicht klappen wollte, so ging er mit mir zum Bahnhof, redete mit einem Schlafwagenschaffner in einem der sowjetischen Transitzüge, der dann bereit war, ein gerade verlassenes Einbettabteil neu herzurichten.
Mit DM 25,00 war ich dann dabei – einschließlich Bett und Fahrkarte. Die Züge fuhren damals praktisch exterritorial durch Polen. Erst die DDR-Grenzer begannen den Zug zu kontrollieren.

34. Durchbruch
Persönlich ergab sich für mich ein weiterer überregionaler Ansatz für die deutsch-polnische Verständigung zu arbeiten, als ich auf Vorschlag der Hamburger Kulturbehörde im Jahre 1988 von der Kultusministerkonferenz in das Kuratorium des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt entsandt wurde.
Hier traf ich die vertrauten Gesichter aus dem Auswärtigen Amt wieder. Zumindest waren informelle Gespräche über die verschiedenen gesellschaftlichen Aktivitäten und „Dialog“ möglich.
Im Vordergrund des Geschehens in Hamburg standen für mich in dieser Zeit die Gedenktage für die Opfer von Nazi-Verbrechen und des Kriegsbeginns.
Erwähnenswert ist ein Schlüsselerlebnis: Um die Gedenkstätte für die in der Schule am Bullenhusener Damm ermordeten Kinder von ihrer Alltäglichkeit zu befreien, war beschlossen worden, während einer Feierstunde Rosenstöcke zu pflanzen.
Der Zufall fügte es, daß der damalige Kulturbotschaftsrat in Köln Ryszard Król und ich einen Rosenstock zum Gedenken an eins der ermordeten Kinder gemeinsam pflanzten. Am Schluß sagte er sinnend: „Ich hätte niemals gedacht, daß ich so etwas je mit einem Deutschen gemeinsam tun würde.“
Offensichtlich war mit den Jahren dann doch ein Durchbruch im Bewußtsein geschaffen worden. Ich habe mich sehr über sein Wort gefreut.

35. Gedenktag
Im Sommer 1989 erhielt der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft eine Einladung nach Warschau. Auf polnischer Seite meinte man endlich eine korrespondierende Organisation geschaffen zu haben, mit der Einzelheiten eines Austausches besprochen werden sollten. Leider endete diese Bemühung ebenfalls ohne Erfolg, weil die politische Zusammensetzung des polnischen Gremiums noch zu einseitig war, als daß es in jener Zeit noch handlungsfähig gewesen wäre. Stattdessen erlebten wir den Wahlkampf der Walsa-Partei in ihrem Warschauer Hauptquartier. Weil keiner der Kandidaten und Kandidatinnen vom Bild her bekannt war, wurden sie auf ihren Wahlplakaten gemeinsam mit dem „Vorsitzenden“  abgebildet. Wir sahen die große Wand mit Kandidatenplakaten. Polen war im Umbruch.
Der 50. Jahrestag des Kriegsbeginns in Polen sollte nach unseren Vorstellungen mit einer großen und würdigen Gedenkveranstaltung begangen werden. Es wurden Senat und Bürgerschaft sowie die Kirchen angesprochen.
Die Präsidentin der Bürgerschaft Helga Elstner sowie beide Kirchen, die evangelische und die katholische, antworteten positiv. Es begann eine Serie von Beratungen zur Gestaltung der Feier, die in Form eines ökumenischen Gottesdienstes abgehalten werden sollte.
Die Evangelische Akademie unter Leitung unseres Mitgliedes, des früheren Bundestagsabgeordneten Stephan Reimers, plante für die letzte Augustwoche ein Seminar zur Geschichte und Gegenwart von Danzig. Wie sich während des Seminarverlaufs herausstellte, war es der Akademie gelungen, zum ersten Male Skeptiker und auch Gegner der Aussöhnung mit Polen in die Diskussionen zu verwickeln, an denen von polnischer Seite der Weihbischof von Danzig-Oliva Zygmunt Pawlowicz und der Präsident des Verbandes der Kaschuben Józef Borzyszkowski teilnahmen. Es waren faszinierende Gespräche, die in der Akademie geführt wurden. Gegenüber allem, was vorher mit polnischen Besuchergruppen bei öffentlichen Diskussionen zu erleben war, sprach in dieser Gruppe nun jeder für sich und ohne Rückversicherung auf die Meinungen eines Stimmführers. Faszinierend und erfrischend, weil alle merkten, daß man an der Schwelle von etwas neuem stand. Die Hamburger Teilnehmer wollten zwar in ihrer Mehrheit von Deutschland nichts wissen und verwiesen stets auf Europa, mit dem die Polen hinwiederum wenig anfangen konnten.
Die Vorbereitungsgruppe für den ökumenischen Gottesdienst kam sehr bald überein, Weihbischof Pawlowicz zu bitten, neben dem evangelischen Bischof Krusche und dem katholischen Weihbischof Jaschke zu predigen. Vor dem Gottesdienst sollten die Bürgerschaftspräsidentin und ich einige Worte an die in St. Petri versammelte Gemeinde richten. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.

36. Besuch bei Walesa
Weihbischof Pawlowicz muß unsere Gesellschaft wohl doch imponiert haben. Eine Woche nach seiner Rückkehr lud mich Józef Borzyszkowski unter ausdrücklicher Berufung auf den Bischof telefonisch ein, in den nächsten Tagen Lech Walesa in Danzig zu besuchen. Leider erreichte mich die Einladung so unvollständig, daß nicht deutlich war, wo ich mich melden und wo ich übernachten sollte. Ich machte mich dennoch auf den Weg – getreu der Devise jedem, auch dem kleinsten Signal aus Polen zu folgen. Dies war kurzfristig möglich, weil wir inzwischen Mehrfachvisa erhalten hatten. In Oliva meldete ich mich in der Residenz des Weihbischofs, der aber außer Hauses war.
Freundliche Geister gaben mir Unterkunft im Gästehaus der Diözese, was sich jedoch als Fehler herausstellen sollte. Kaum war der Bischof heimgekehrt, wurde ich umquartiert und im Gästehaus der Akademie der Wissenschaften untergebracht. Mein Besuch hätte einen politischen Charakter. Es sei deshalb für die Kirche völlig unmöglich, mich zu beherbergen. Zum Besuch bei Walesa am nächsten (Sonnabend) Morgen begleitete mich Borzyszkowski. Man kann nur sagen, zum Glück, denn die hauseigenen Dolmetscher der Solidarität versagten vollständig, so daß er einspringen mußte. Unser damaliger Bundespräsident hatte den Vorsitzenden der Solidarität damals als ein „Weltwunder“ bezeichnet. Ich begriff schnell, warum. Walsa sprach so schnell, daß alle ihre liebe Not hatten, mitzuhalten. Als Gesprächspartner mußte man auf eine winzige Atempause achten, um selbst zu Worte zu kommen. Dies alles erschwert durch die Dolmetscherei, die technisch bedingt, viele Atempausen schaffte. Ich hatte mir vorgenommen, von unserer Gesellschaft zu erzählen.
Davon wollte er aber wenig wissen. Ich solle ihm stattdessen, Bäcker und Schlachter – samt ihrer Maschinen und notwendiger Investitionen – besorgen. Materielle Güter – nicht idealistische Werte – wären für sein Volk wichtig.
Plötzlich kam aber die Frage: „Was haben Sie mit den Franzosen gemacht?“ Da konnte ich auf die Erfolge des Deutsch-Französischen Jugendwerkes verweisen. Immerhin hätten sich durch dieses bei insgesamt 7,5 Millionen Begegnungen 12% der Westdeutschen und 16% der Franzosen kennengelernt. Keiner könne diesen Menschen jemals wieder etwas vom Erbfeind erzählen. (Das hatte die polnische Außenpolitik gerade bemerkt, als sie sich noch unter dem alten Regime einer Westoption zuwandte. Das frühere ‚der Feind meines Feindes ist mein Freund‘ funktionierte nicht mehr. Man konnte die Franzosen nicht mehr – wie vor Jahrzehnten noch – gegen die Deutschen aufbringen.) Gerade an Begegnungen zwischen Polen und Deutschen läge unseren Gesellschaften. Ihre Arbeit sei deshalb wichtig. – Ein förmlicher Besuch beim Weihbischof und eine Besichtigungsfahrt durch die kaschubischen Kulturzentren rundeten meinen Besuch ab. Bei der Rückreise nach Deutschland gab es vor dem Grenzobjekt Pomellen eine der längsten Wartezeiten – aber auch eine der interessantesten, weil ich zum ersten Mal auf entrüstete DDR-Bürger stieß, die sich offen aussprachen. Ein DDR-Nachbar in der Schlange hatte gerade Freunde in Kolberg besucht, um sich zu verabschieden. ‚Entweder wird mein Ausreiseantrag genehmigt oder ich fahre über Ungarn in den Westen,‘ sagte er und meinte dann, daß ich doch ’sehr diplomatisch sprechen würde‘. Er traf damit sicherlich einen Kern. Obwohl wir unsere klaren Ziele vor Augen hätten, wäre es in unseren Augen sicherlich falsch gewesen, so erklärte ich ihm, die Lage in der Volksrepublik Polen oder in der DDR zu destabilisieren. Ein langes, grundlegendes Gespräch mit einem Zufallsbekannten kurz vor dem Fall der Mauer, die polnische Partner damals als ein ‚Relikt der Bürokratie‘ bezeichneten. Schon mußte man erklären, warum man so und nicht anders gehandelt hatte.

37. Die Wende
Stabilisierung war ebenfalls das Ziel des Kredites über 5 Milliarden DM im Jahre 1976 gewesen, den Helmut Schmidt der Gierek-Regierung außerhalb der von den Banken vereinbarten Schuldenabkommen gewährte. Er war deshalb nicht in Devisen rückzahlbar. Sein Zloty-Gegenwert sollte vereinbarungsgemäß der deutsch-polnischen Verständigung zugutekommen. Über das Wie hatte man sich damals nicht einigen können. Nach der von der
Solidarität gewonnenen Wahl und der Einsetzung einer neuen polnischen Regierung bemühte man sich von deutscher Seite jetzt über den aus dem „Jumbo-Kredit“ herrührenden ansehnlichen Gegenwertfonds zu verhandeln, wie ich aus dem Auswärtigen Amt erfuhr. Niemand wußte allerdings damals, wie diese Geldmenge verwaltet werden sollte. Ich fand, es könnte unserer Gesellschaft gut anstehen, hierzu Projekte vorzuschlagen. Eine gemeinsame
Tagungsstätte an der Weichselquelle hatte Micha Koodziejczyk vorgeschlagen, der die deutsch-polnischen Gesellschaften mit einer Gruppe von oppositionellen Journalisten in dieser Zeit des Umbruchs besucht hatte. Ich meinte allerdings, daß man mehr Eisen im Feuer haben sollte. Von der Fachhochschule für das Agrarwesen in Stettin hatte ich von einem ehemaligen Gutshaus in der Nähe der Stadt gehört, das nach umfangreicher Renovierung ebenfalls für ein solches Projekt geeignet sein sollte. Für Sonnabend, den 11. November 1989, hatte ich eine Besichtigung vereinbart. Am frühen Nachmittag des 9. November machte ich mich mit Teresa Lemke auf den Weg nach Stettin. Sie wollte dort ihre Eltern besuchen. Während der Fahrt durch die DDR hörte wir wie stets intensiv Radio. Plötzlich schoben sich Nachrichten aus Ostberlin in den Vordergrund. Sie kamen von einer Pressekonferenz, auf der die Reisefreiheit für die DDRBürger verkündet wurde.
So erlebten wir den Fall der Mauer mitten in der DDR, und als wir an der Grenze in Pomellen ankamen, fragten wir scherzhaft, ob man denn hier jetzt frei durchfahren könne. Man hätte noch keine Order aus Berlin, hieß es.
Damals übernachtete ich bei Professor Karol Koczy vom Institut für Deutsche Philologie an der Stettiner Universität. Ihm hatte ich versprochen, am nächsten Tag vor seinen Studenten und Studentinnen zu reden. Dieser Vortrag war schon ein bemerkenswertes Erlebnis, zumal meine Zuhörerinnen und Zuhörer eigentlich noch gar nicht begriffen hatten, was im Abend zuvor in der DDR geschehen war.

38. Sitzung in Stettin
Das Jahr 1990 brachte für Hartmut Reichardt, den Vorsitzenden unsererArbeitsgemeinschaft, und für mich berufliche Veränderungen. Immer häufiger mußte ich die Arbeitsgemeinschaft ehrenamtlich vertreten und war zugleich im erhöhten Maße selbst beruflich beansprucht. Bald nach dem Jahreswechsel 1990/91 klärte sich die Situation meiner Doppelbelastung. Ich wurde zum Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft gewählt. Damit stand für mich fest, daß ich – schon aus Gründen der bisherigen Erfahrungen mit meiner zeitlichen Beanspruchung – nicht erneut für das Amt des Vorsitzenden der Hamburger Gesellschaft kandidieren und deshalb das Amt an Gerd Hoffmann abgeben würde. Vor der Neuwahl wollte der Vorstand sich jedoch einen langgehegten Traum erfüllen: einmal in Stettin zu tagen. Quartier hatte für uns Stanisaw Zaborowski gemacht, ein alter Freund, der als Konzertagent über ausgezeichnete Verbindungen in der Stadt an der Odermündung verfügte. Er hatte auch ein Treffen mit an den Verbindungen zu Deutschland interessierten Politikern und Verbänden in der Schatzkammer der Stettiner Bibliothek arrangiert, wo wir zunächst nach unserer Einschätzung des deutsch-polnischen Verhältnisses befragt wurden. Sodann kam das Gespräch auf die im Jahre 1993 bevorstehende 750-Jahr-Feier für das Stettiner Stadtrecht. Für
den Nachmittag hatte man getrennte Besprechungen mit den vier Gruppen vereinbart, die mit uns über einen Beitrag zu diesem Stadtjubiläum beraten wollten. Die örtlichen Initiativen lagen – wie wir feststellten – weit auseinander und wollten anscheinend gar nicht miteinander sprechen. Plötzlich hatten wir gesellschaftliche Kontakte, nach denen wir vorher immer gestrebt hatten. Jetzt mußte nur Ordnung in unsere Gespräche gebracht werden. Da nach
meinem Wissen in Stettin noch mindestens drei weitere an Deutschland interessierte Gruppierungen vorhanden waren, die bei dieser Gelegenheit nicht auftauchten, entwickelte ich die Idee, im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum einen gemeinsamen deutschpolnischen Kongreß zu veranstalten, auf dem sich die Menschen treffen könnten, die am Brückenbau zwischen beiden Ländern interessiert sind und sonst keinerlei Funktion haben,
aber guten Willens sind. Hiermit könnten wir den Dialog auf eine weitere Ebene als die unserer Zeitschrift heben. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft übernahm die Kongreßidee so begeistert, daß der erste nicht in Stettin,
sondern schon im Jahre 1992 in Berlin stattfand. Aus dem Treffen in der Schatzkammer entstand eine Partnerschaft zwischen den Öffentlichen Bibliotheken Stettins und Hamburg, die Stanisaw Krzywicki, der Stettiner Bibliotheksdirektor, und ich am Vorabend des Abschlusses des Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrages, am Juni 1991, vereinbarten.

39. Lohnte sich die Arbeit?
Haben sich denn all die über fünfundzwanzigjährigen Mühen um die Verständigung mit Polen trotz der vielen Enttäuschungen, Rückschläge und Frustrationen gelohnt? Aus meiner subjektiven Sicht bejahe ich diese Frage natürlich. Wie sie aus historischer Sicht zu beantworten ist, läßt sich gegenwärtig kaum sagen. Einen Fingerzeig könnte der Unterschied zwischen dem deutsch-polnischen und dem deutschtschechischen Verhältnis geben, wie
er beim Abschluß der Nachbarschaftsverträge deutlich wurde. In beiden Ländern löste die Unterzeichnung des Vertrages mit Polen im Jahre 1991 keine Diskussionen aus. Anders war es dagegen beim Vertrag mit Tschechien 1996/97. Könnte dies nicht damit zu erklären sein, daß es in (West-) Deutschland seit Anfang der 70er Jahre vielerorts Deutsch-Polnische Gesellschaften gab? Im Verhältnis zu den Tschechen und Slowaken wurden solche
Gründungen dagegen sehr vermißt. Wenn dies zutrifft, haben die Deutsch-Polnischen Gesellschaften – unter ihnen die Hamburger – mit ihrer kaum die Zeitungen und übrigen Medien erreichenden Kleinarbeit einen allmählichen Wandel im Bewußtsein beider Völker erreicht, der im Verhältnis zu Tschechien fehlt. Will man in Frieden mit seinen Nachbarn leben, kann man sich also auf den Schlagzeilen produzierenden Dialog der Regierungen, Diplomaten und Eliten alleine nicht rlassen. Man braucht Menschen, die sich ohne Opportunismus für den Frieden zwischen den Völkern engagieren, gerade dann, wenn sie keine Volksbewegung sind. Deshalb lohnte sich die Arbeit – deshalb muß sie jedoch auch fortgesetzt werden.

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